Leseprobe

Augenlust? Nicht nur ein Fest für die Sinne 24 ein Schatten, den man nicht mit dem Auge wahrnimmt, der aber dennoch zur Wirklichkeit der dargestellten Bildwelt gehört. Diesem Umstand Rechnung tragend, wollen wir in unserer Ausstellung spontane Augenlust und historische Reflexion zusammenführen. Für uns sind Stillleben immer auch ein Sprungbrett in die Niederlande des 17. Jahrhunderts mit ihren eindrucksvollen Errungenschaften und ihren gleichermaßen dunklen Seiten. In den Stillleben liegt eine ganze Welt verborgen, wenn man nur genau hinschaut. Slow Exhibition Stillleben involvieren vermutlich stärker als jede andere Bildgattung die Betrachtenden selbst. Sie leben vom Dialog zwischen Rezipient:in und Gemälde. Obwohl auf Stillleben zumeist keine Personen dargestellt sind, zeugen nahezu alle Spuren im Bild von menschlicher Gegenwart und menschlichem Leben. Wir stehen gleichsam vor der für uns gedeckten Tafel und sind aufgefordert, uns zu den dargestellten Dingen ins Verhältnis zu setzen. So entsteht im besten Fall ein immer differenzierteres, letztlich aber unabschließbares Wechselspiel zwischen aufmerksam-lustvoller Betrachtung und facettenreicher, nachdenklicher Befragung. Dieses Wechselspiel anzuregen, ist uns ein zentrales Anliegen. Unser Ausstellungskonzept setzt daher auf ein besonderes Gut: die Möglichkeit, in Ruhe und mit Muße vor einem Bild zu verweilen, ohne dabei von der Sorge geplagt zu werden, nur die Hälfte des Ausstellungsparcours bewältigen zu können. Das Konzept unserer Ausstellung beruht ganz wesentlich auf dem Prinzip der Reduktion und einer damit einhergehenden Entschleunigung. Entlehnt der Idee des Slow Food, des aufmerksamen und nachhaltigen Essens, zeigen wir eine »Slow Exhibition« mit lediglich 15 Stillleben, die jeweils einen eigenen Bereich erhalten. Eine architektonische Rahmung schafft den erforderlichen Raum für die ungestörte Betrachtung eines einzelnen Bildes. Da jedes Gemälde zunächst ganz für sich steht, entfallen bestimmte Auswahl- und Vergleichskriterien wie eine besondere Künstler:innenpersönlichkeit, ein spezieller Stil oder eine bestimmte Bildthematik. Die 15 für unsere Ausstellung ausgewählten Stillleben unterscheiden sich sowohl thematisch als auch stilistisch. Jede Bildbetrachtung wird von einer ganz eigenen Erzählung getragen. Und doch bildet die Ausstellung auch eine Einheit, schließlich entwickelt sich mit unserer Leitfrage nach sozialen Lebenswirklichkeiten hinter den Bildern eine weit ausschwingende Erzählung über die Niederlande im 17. Jahrhundert. Ein Zeitalter wird besichtigt Die auf den Stillleben dargestellten Dinge stehen zunächst nur für sich selbst. Doch sind sie zugleich immer auch Spuren in die Vergangenheit und Zeugen jener vielfältigen Geschichten, die sich hinter den Bildern verbergen. Wir holen diese Spuren in die Gegenwart der Ausstellung, indem wir den Stillleben kunsthandwerkliche Objekte und alltägliche Gebrauchsgegenstände ebenso beiordnen wie Briefe, Karten und Bücher. Dieses breite Spektrum an verschiedenen Artefakten lässt das in den Bildern gespeicherte Wissen lebendig werden. Werkzeugen – wie etwa einer reich verzierten Leinenpresse – lässt sich ganz intuitiv ihr Gebrauch ablesen. Die Existenz einer solchen Gerätschaft verrät zudem etwas über den Stellenwert, der den feinen Leinen- und Damaststoffen in einem niederländischen Haushalt des 17. Jahrhunderts beigemessen wurde. Vielfältige Verzierungen zeigen zudem,

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