Leseprobe

29 1 Les vases communiquants, Paris 1932, dt. Die kommunizierenden Röhren, übers. v. Elisabeth Lenk und Fritz Meyer, München 1973, S. 24. 2 Breton hat diese Begegnung in einem Roman verarbeitet: André Breton, Nadja, Paris 1928, dt. 1974 im Suhrkamp-Verlag erschienen, übers. v. Max Hölzer. 3 Die kommunizierenden Röhren (wie Anm. 1), S. 26. 4 Ebd., S. 35. 5 Alle Zitate dieses Absatzes ebd., S. 35 –37. 6 »Quand il fut du l’autre côté du pont les fantômes virent à sa rencontre.« Ebd., S. 37; der Zwischentitel im deutschen Original lautet abweichend: »Kaum hatte Hutter die Brücke überschritten, da ergriffen ihn die unheimlichen Gesichte [...]«. Breton verwendet das Nosferatu-­ Zitat erstmals im dritten Fortsetzungsteil seiner 1926 erschienenen Schrift »Le surréalisme et la peinture« in: La Revolution surréaliste, Nr. 7, Juni 1926, S. 4 – 6, hier S. 4 (und zwei Jahre später erweitert in »Le Surréalisme et la peinture en 1928«, dt. Der Surrealismus und die Malerei, Berlin 1967, S. 19), im Zusammenhang mit der frühen Malerei Giorgio de Chiricos, die er im Unterschied zur darauf folgenden künstlerischen Entwicklung des Malers hoch schätzte. 7 Die kommunizierenden Röhren (wie Anm. 1), S. 38 8 Ebd. (beide Zitate). 9 Ebd., S. 37. 10 Ebd., S. 38. 11 S. Dictionnaire de l’objet surréaliste (Katalog zur Ausstellung Le Surréalisme et l’objet, Centre Pompidou), Paris 2013, S. 260 s. v. Tamanoir (Ameisenbär). 12 Die kommunizierenden Röhren (wie Anm. 1), S. 38. 13 Die Ausstellung wurde vom 22. bis 29. Mai 1936 in der Galerie Charles Ratton, Rue de Marignan 14 in Paris gezeigt, begleitet von einem kleinen Katalog mit einer Einführung von André Breton. 14 Der Katalog verzeichnet insgesamt elf verschiedene Objekttypen: Objets naturels (darunter der Ameisenbär), objets naturels interpretés, objets pertubés, objets trouvés, objets trouvés interpretés, objets américains, objets océaniens, objets mathematiques, ready made et ready mades aidé sowie objets surréalistes. 15 Tanguys NosferatuHand wurde zwei Jahre später im Dictionnaire abrégé du surréalisme abgebildet (S. 47), der anlässlich der Exposition internationale du Surréalisme in der Galerie des Beaux-Arts 1938 in Paris erschien. Eine größere, ebenfalls schwarzweiße Abbildung findet sich im Katalog zur Ausstellung Yves Tanguy von James Thrall Soby, Museum of Modern Art, New York, 1955, auf S. 17. Ob es sich bei dem gleichnamigen Objekt in der ehemaligen Sammlung Morten G. Newman, New York, um eine restaurierte Fassung oder gar eine Replik handelt, konnte nicht geklärt werden. Zumindest scheinen die Finger der Schaufensterpuppe auf den späteren bekannten Fotografien weniger gekrümmt und zeigen in eine andere Richtung. 16 Siehe hierzu auch den 50 Jahre später erschienenen Beitrag von Ralf Höller »Augenblick mal. Ein Ameisenbär in der Metro«, begleitet von einer Fotostrecke mit dem verniedlichenden Titel »Jedem Tierchen sein Pläsierchen«, https://www. spiegel.de/geschichte/salvadordali-1969-in-paris-pr-coup-mitameisenbaer-in-der-metroa-1293926.html (abgerufen am 10. 9. 2022). 17 In der Verbindung von Metro (von altgriechisch »μήτηρ« für »Mutter«) und Bastille (französisch für »kleine Bastion«) wird das Reich der Mütter zur städtischen Festungsanlage. Patrice Habans »Salvador Dalí, dem Keller des Unterbewusstseins entsteigend, an der Leine einen romantischen Ameisenbären, das Tier, das André Breton als Exlibris ausgewählt hat.« Fotografie für Paris Match, April 1969 Heinz Joachim Kummer-Stiftung Wenn nun, drei Jahre nach dem Tod von André Breton und 47 Jahre nach dem Erstauftritt Nosferatus im Berliner Zoopalast, nicht mehr eine alte Frau am Eingang der Pariser Metro lauert, sondern Salvador Dalí am 26. Juli 1969 für Paris Match mit einem lebendigen Ameisenbären aus dem »Keller des Unterbewusstseins« steigt, so ist dies keineswegs nur als Schrulle eines publicitysüchtigen Exzentrikers abzutun.16 Wer hier aus der sicherlich mit Bedacht gewählten Metrostation Bastille steigt,17 verkündet auf ebenso intelligente wie ironische Weise die Vollendung eines mit dem Film Nosferatu einsetzenden und von André Breton und den Surrealisten vehement verfochtenen Projekts einer »Verwischung« der Welten. Die Schleusen des Unterbewussten wurden geöffnet, durch die Löcher des Tanguy’schen Schaumlöffels sind das Vergessen, die Ängste und das Verlangen getropft. In den kommunizierenden Röhren werden die Stände von Albtraum und Wunschtraum, Kunst und Werbung, Verlangen und Pädagogik, Wahn und Therapie gleich hoch angezeigt.

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