Leseprobe

15 Wie Herzog Leopold IV. Friedrich seine Blätter, die mit prominenten Künstlernamen von Raffael bis Anthonis van Dyck versehen waren, in seinen Privaträumen in Dessau aufbewahrte, ist nicht überliefert. Leider sind keine genauen Innenraumbeschreibungen und Inventare des Residenzschlosses im Zustand des 19. Jahrhunderts überliefert. Schmerzlicher noch ist die mangelnde Kenntnis des Verbleibs dieser Stücke. Einen Eindruck von den umfangreichen Veräußerungen des Dessauer Herzogshauses nach 1918 gibt der Katalog einer Auktion vom März 1927 bei Henrici in Berlin, auf welcher wenige Monate vor Gründung der Anhaltischen Gemäldegalerie ein Großteil der grafischen Sammlung der Familie Anhalt unter den Hammer kam.24 Der beträchtliche Bestand an architektonischen Kupferstichwerken und an britischen Grafiken des 18. Jahrhunderts, der hier angeboten wurde, ist mit großer Sicherheit auf die Sammelinteressen Leopolds III. Friedrich Franz zurückzuführen.25 Künstlergrafiken und Zeichnungen von deutschen Meistern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden wohl von Leopold IV. Friedrich erworben, welcher selbst ein geübter Zeichner, Maler und Radierer war26 und dessen Nachfolger sich durch kein vergleichbares Interesse für die bildenden Künste auszeichneten. Die oben erwähnten OlivierZeichnungen, die kurz darauf vom Freistaat Anhalt für das junge Museum erworben werden sollten, waren nicht in der Auktion enthalten.27 Wahrscheinlich wurden die Ankaufsverhandlungen hierfür bereits vor dem März 1927 geführt. Einzelne Blätter aus der Berliner Auktion lassen sich heute in der Graphischen Sammlung der Anhaltischen Gemäldegalerie nachweisen, wie zum Beispiel die Gouache der Gerechtigkeit von Johann Heinrich Lips (Kat.-Nr. 48). Das 1927 ebenfalls angebotene Pendant, Die Klugheit, kehrte dagegen nicht nach Dessau zurück und kam 1956 in das im selben Jahr eröffnete Goethe-Museum in Düsseldorf (Abb. 8).28 In den internationalen grafischen Sammlungen finden sich immer wieder Zeichnungen, die ihre Herkunft aus der Kollektion Leopold Friedrichs (und damit aus dem Herzoglichen Kupferstich-Kabinett) durch den auf ihnen angebrachten Sammlerstempel des Herzogs verraten: ein großes L in Fraktur, welches eine heraldische Herzogskrone trägt (Abb. 9).29 Er erscheint zum Beispiel auch auf den beiden Zeichnungen modisch gekleideter Dessauer Mädchen von Carl Wilhelm Kolbe, die sich seit 2007 in der National Gallery of Art in Washington befinden und wohl unter der Nummer 1085 des Berliner Auktionskatalogs, einer »Sammlung von etwa 67 Handzeichnungen« Kolbes, subsumiert waren.30 Auch lässt sich zeigen, dass 1927 nicht die gesamte grafische Sammlung der Dessauer Herzöge auf der Auktion bei Henrici in Berlin angeboten wurde. Ein bisher nicht genauer zu bestimmender Anteil wurde durch das Dessauer Kunsthaus Spielmeyer gehandelt. Bis 1945 als herzogliche Hoftapezierer – also als Raumausstatter und Dekorateure – agierend, saßen die Spielmeyers durch ihren Zugang zum Herzogshaus für den Handel mit Gemälden und Grafiken an einer guten Quelle.31 Bis in Abb. 9 Viele der aus den Herzoglichen Sammlungen stammenden Zeichnungen und Druckgrafiken tragen einen Sammlerstempel mit dem Buchstaben L in Fraktur und einer heraldischen Herzogskrone darüber. Mit höchster Wahrscheinlichkeit ist er Leopold IV. Friedrich von Anhalt-Dessau zuzuordnen und kennzeichnet einen großen Teil der einst in seinem Besitz befindlichen Blätter.

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