26 Böhmischer Zeichner STEHENDER APOSTEL (EVANGELIST JOHANNES?) 1 um 1370 Feder und Pinsel in Graubraun, partiell laviert 15,1 × 7,7 cm (Darstellung), 15,4 × 8,4 cm (Kaschierpapier) bez. oben: »Juncker von Brag gemacht« Inv.-Nr. B I 1 Prov.: Willibald Imhoff (1519–1580)?; 1715 Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen; 1748 an die Fürsten von AnhaltBernburg; 1877 Behörden- Bibliothek Dessau; 1927 von dort überwiesen Lit.: Friedländer 1914, Nr. 1; Ausst.-Kat. New York 2005, S. 165–166, unter Kat.-Nr. 35 (Jiří Fajt, Robert Suckale); Kat. Dessau 2011, S. 43–45, Kat.-Nr. 9 (Guido Messling) 1 Vgl. Fajt 1997. 2 Jenni/Theisen 2004, S. 65–87. Diese Zeichnung ist die älteste im Dessauer Bestand und gleichzeitig ein herausragendes Zeugnis für die Hofkunst der Luxemburger Kaiser und Könige im 14. Jahrhundert. Eine Aufschrift am oberen Rand, die vermutlich aus dem 16. Jahrhundert stammt, verweist auf die »Juncker von Brag«, eine Bezeichnung, mit der seit dem Spätmittelalter insbesondere Mitglieder der berühmten Künstlerfamilie Parler bezeichnet wurden, die als Steinmetze, Architekten und Bildhauer in Prag, Böhmen und Süddeutschland tätig waren. Tatsächlich ist der Autor der Zeichnung jedoch eher im Umfeld eines Künstlers zu suchen, der unter dem Namen »Meister Theoderich« bekannt ist.1 Er war Maler am Prager Hof Kaiser Karls IV., in dessen Auftrag er einen umfangreichen Gemäldezyklus für die Heilig-Kreuz-Kapelle auf der Burg Karlstein (Karlštejn), dem Aufbewahrungsort der Reichskleinodien, schuf. Beachtenswert ist die feine Hell-Dunkel-Modellierung, die der Figur ein hohes Maß an Plastizität verleiht – eine Technik, die auch in der zeitgleichen böhmischen Tafelmalerei zu beobachten ist. Welche Funktion die Zeichnung ursprünglich besaß, ist unsicher. Möglicherweise handelt es sich um die Nachzeichnung einer verlorenen Wandmalerei auf der Burg Karlstein. Dass der Zeichner dabei nicht mehr alle Details verstand, deutet die leere linke Hand des Apostels an, die ein Attribut halten müsste. Vielleicht handelt es sich aber auch um eine in der Malerei vielseitig verwendbare Figurenvorlage, die in der böhmischen Hofkunst der 1360er- und 1370er-Jahre kursierte. Die Zeichnung weist bemerkenswerte Analogien zu zeitgleichen Werken der böhmischen Buchmalerei auf, insbesondere zu den Illuminationen im 1368 vollendeten Evangeliar Herzog Albrechts III. von Österreich (Wien, Österreichische Nationalbibliothek).2 Weitere zugehörige Zeichnungen, die ebenfalls mit der Bezeichnung »Juncker von Brag« betitelt sind, befinden sich in der Universitätsbibliothek Erlangen. Die gemeinsame Provenienz des Dessauer Exemplars und der Erlanger Blätter lässt sich wahrscheinlich bis auf die berühmte Sammlung des Nürnberger Patriziers Willibald Imhoff in die 1570er-Jahre zurückverfolgen. KW
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