Leseprobe

74 1 München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1992:35 Z; Volk-Knüttel 2010, Kat.-Nr. Z 17, S. 214–216. 2 Madrid, Museo del Prado, Inv.-Nr. D 636; Volk-Knüttel 2010, Kat.-Nr. Z 5, S. 199–201. 3 Paris, Musée du Louvre, Inv.- Nr. 19853; Volk-Knüttel 2010, Kat.-Nr. Z 3, S. 198–199.­ 4 Damm/Hoesch 2022, Kat.-Nr. 17, S. 84–89 (Heiko Damm). Pieter de Witte, genannt Peter Candid KNIENDE HEILIGE KATHARINA VON ALEXANDRIEN 25 um 1590 Feder in Schwarz mit Höhung in Bleiweiß (partiell oxidiert), über schwarzem Stift 27 × 19,7 cm Inv.-Nr. B VII 17 Prov.: 1715 Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen; 1748 an die Fürsten von Anhalt-­ Bernburg; 1877 Behörden-­ Bibliothek Dessau; 1927 von dort überwiesen Lit.: Thöne 1937, S. 224–225; Michels 2007, S. 24–25 (Brigitte Volk-Knüttel); Volk-Knüttel 2010, S. 217, Kat.-Nr. Z 18 (mit älterer Lit.) Pieter de Witte, genannt Peter Candid (Brügge um 1548–1628 München) Pieter de Witte wächst als Sohn eines flämischen Teppichwirkers gleichen Namens ab 1558 in Florenz auf, wo er bis 1586 Porträts, Altarbilder und Fresken ausführt. Nach München berufen, nennt er sich Peter Candid und wird mit vielfältigen Aufgaben betraut, aufgrund der angespannten finanziellen Situation des Hofes zwar schon 1589 beurlaubt, 1602 jedoch von Herzog Maximilian I. erneut fest angestellt. Nach der Verkündigung (1587) und dem Martyrium der hl. Ursula (1588) für die Jesuitenkirche St. Michael in München entstehen weitere große Altarbilder etwa für St. Ulrich und Afra in Augsburg, die Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Landsberg am Lech oder den Freisinger Dom. Bedeutend sind auch die unter Candids Leitung geschaffenen Raumausstattungen der Münchner Residenz, von denen ein großer Teil im Zweiten Weltkrieg zugrunde ging. Eine kniende junge Frau mit aufwendiger Flechtfrisur blickt, die Arme vor der Brust gekreuzt, anbetend aufwärts. Dass es sich hier um die heilige Katharina von Alexandrien handelt, verrät das Bruchstück eines geborstenen Rades, Attribut der zyprischen Königstochter und Hinweis auf ihr Martyrium. Candid hat die Figur über dem Gerüst einer mit schwarzem Stift ausgeführten Vorzeichnung mit der Feder modelliert, dabei die Schraffuren zu tiefen Schatten verdichtet und durch die Weißhöhung den Lichteinfall von oben links angezeigt. Im geradezu tektonischen Draperiestil und der Rhythmisierung der Konturen verrät sich die Florentiner Schulung des Zeichners, der sich zeitlebens stark an der Kunst Andrea del Sartos orientierte. Die Dessauer Studie dürfte nur wenige Jahre nach seiner Berufung an den Münchner Hof entstanden sein, die der mediceische Hofbildhauer Giambologna vermittelt hatte. Ein in München aufbewahrter modello für ein nicht mehr nachweisbares Altarbild zeigt die heilige Katharina in analoger Pose gegenüber dem heiligen Benedikt, beide in Anbetung der auf Wolken in einer Engelsglorie thronenden Gottesmutter.1 Vermutlich diente die hier vorliegende, genauer ausgearbeitete Einzelfigur der Vorbereitung desselben Projekts. Die präzise Schraffurtechnik teilt das Blatt mit den noch in Italien entstandenen Bildentwürfen für eine Beweinung Christi unter dem Kreuz2 bzw. – entsprechend der 1585/86 ausgeführten großen Altartafel in Volterra – vor der Grabeshöhle.3 In denselben Zusammenhang gehört die jüngst bekannt gewordene Draperiestudie für eine Pietà in Privatbesitz.4 Im Unterschied zu diesen Beispielen, bei denen sich verschiedene Entwurfsphasen überlagern und kopräsent bleiben, erscheint die Figur der Katharina gänzlich durch die mit großer Disziplin geführte Feder ausformuliert. Möglicherweise entstand das Blatt als Demonstrationsstück zeichnerischer Bravour. HD

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1