188 1 Ausst.-Kat. Dresden/Bremen 1994, S. 134, Kat.-Nr. 132; Spitzer 2018, S. 36. 2 Eine Gruppe von neun Zeichnungen, in Technik und Stil dem Dessauer Blatt vergleichbar, befand sich 2013 im Kunsthandel bei Grisebach in Berlin. Spitzer 2018, S. 36, 225, Abb. auf S. 38. 3 Ausst.-Kat. Dresden/Bremen 1994, S. 134. Christian Friedrich Gille LIEGENDES KALB 80 um 1850 Bleistift, weiße Kreide auf chamoisfarbenem Papier 13,4 × 18,2 cm Inv.-Nr. Z 1035 Christian Friedrich Gille (Ballenstedt 1805–1899 Dresden) Gille wird 1825 als Schüler der Dresdner Akademie eingeschrieben, empfing aber wohl schon davor eine erste künstlerische Ausbildung durch seinen Vater, einen Gardisten, der auch als Porträt- und Porzellanmaler erwähnt wird. 1827–1830 Atelierschüler bei Johann Christian Dahl. Ab Anfang der 1830er-Jahre Tätigkeit als Lithograf. Seit 1866 erhält Gille verschiedene Zuwendungen für mittellose Künstler. Die zügig ausgeführte, aber dennoch detailgenaue Zeichnung ist von Nähe bestimmt. Das liegende junge Tier wird von oben gesehen, der Betrachtende begibt sich trotzdem fast auf dessen Augenhöhe herab. Die gewählte Nahsicht unterstützt den Eindruck einer stillen Empathie, welche der Künstler für das Nutztier zeigt. Während Gille in seinen wenigen ausgeführten Landschaftsgemälden Menschen regelmäßig als Staffage einfügte, erscheinen sie auf seinen zahlreichen malerischen Naturstudien seltener. Häufiger sind jedoch Rinder auf ihnen anzutreffen, die er wohl in größerem Einklang mit den von ihm bevorzugten anspruchslosen ländlichen Naturausschnitten sah. Auch gibt es nicht wenige in Öl ausgeführte Einzelstudien von Rindern, welche die kontrastreiche Färbung ihres Fells und das Spiel des Tageslichts darauf studieren. Die vorliegende Zeichnung zeigt vermutlich eine der seltenen Gelegenheiten, in denen Gille seine individuellen künstlerischen Interessen ökonomisch fruchtbar machen konnte. Während er nur wenige Gemälde für die öffentliche Präsentation vollendete und noch weniger absetzte, waren seine zahlreichen Naturstudien in Öl – für die er heute hauptsächlich geschätzt wird – nicht für den Verkauf bestimmt (vgl. Kat.-Nr. 68). Seinen oft kargen Lebensunterhalt verdiente Gille als Lithograf, als Grafiker, der die Kompositionen anderer Künstler in gedruckte Reproduktionen umsetzte. 1852/53 konnte er jedoch in einer grafischen Folge nach eigenen Entwürfen arbeiten. Das Dresdner Atelier des Hanns Hanfstaengl, ein Ableger des bekannten Münchner Kunstverlags, beauftragte ihn mit der Anfertigung einer Folge von Darstellungen verschiedener Rinderrassen.1 Die vorbereitenden Zeichnungen Gilles dazu sind nach Ausweis ihrer eigenhändigen Datierungen in den Jahren von 1846 bis 1852 entstanden.2 Die Dessauer Studie muss der Künstler ebenfalls in diesem Zusammenhang geschaffen haben. Spürbar ist das Bemühen Gilles um die präzise Erfassung anatomischer Details, an denen die Besonderheiten der verschiedenen Rassen festzumachen sind. Locker hat er über dem Kopf wie in einer Legende Einzelheiten der Struktur des Fells beschrieben, die über die eingezeichneten Ziffern aufzufinden sind. Das Endinteresse dieser differenzierten Aufnahme und ihrer Publikation war ökonomisch bestimmt. Gille reiste für das Studium der vorzustellenden Rinderrassen nach Möckern, auf das Gut des Leipziger Verlegersohns Wilhelm Crusius, der dort eine landwirtschaftliche Versuchsstation aufbaute.3 Crusius ist ebenfalls bekannt für seinen Auftrag an den jungen Moritz von Schwind (vgl. Kat.-Nr. 77, 90), einen Gartenpavillon in Rüdigsdorf mit Motiven des Märchens von Amor und Psyche auszumalen. Diese Vereinbarkeit von romantischem Kunstsinn und zupackendem Geschäftssinn ist Mitte des 19. Jahrhunderts häufiger zu beobachten. RR
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1