Leseprobe

190 1 Brückner 1979, S. 596. Friedrich Chapon (Dessau 1797–1884 Dessau) Chapon entstammt einer Hugenottenfamilie, die um 1730 nach Dessau kam. An der Hauptschule der Residenz erhält er Zeichenunterricht bei Carl Wilhelm Kolbe und übernimmt dann mit seinen Brüdern die Materialwaren- und Weinhandlung seines Vaters. In seiner freien Zeit ist Chapon ein unermüdlicher Zeichner, der seine Motive vor allem in der Landschaft um Dessau sucht. Regelmäßig unternimmt er aber auch Künstlerreisen, wie 1836 ins Salzkammergut, wo er gemeinsam mit Johann Heinrich Beck zeichnet. Die Brüder Chapon hinterlassen testamentarisch ihr Vermögen der Stadt Dessau für wohltätige Zwecke. Friedrich Chapon EICHENGRUPPE BEI WÖRLITZ MIT HIRTE UND RINDERN 81 1834 Bleistift 19,5 × 24,6 cm bez. oben rechts: »1834. bei Wörlitz« Inv.-Nr. Jest Z 380 Prov.: Herzogliche Sammlungen; Joachim- Ernst-Stiftung Die Ausbildung im Zeichnen erhielt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen neuen Stellenwert, sodass diese nicht nur an den neu gegründeten Kunstakademien und Gewerbeschulen betrieben wurde. Der von der Aufklärung propagierte Zusammenhang von ästhetischer und ethischer Bildung führte auch an Bürger- und Töchterschulen zur Anstellung von spezialisierten Zeichenlehrern. Das sollte um 1800 in der Entwicklung eines breiten bürgerlichen Laienkünstlertums resultieren, was mit dem damals noch nicht abwertenden Begriff des Dilettantismus erfasst wurde. Der diletto, das erbauende Vergnügen, bestimmte noch Wahrnehmung und Wortgebrauch – und nicht das professionelle Unvermögen. In Dessau wies der zunächst am Philantropinum und später an der Hauptschule angestellte Carl Wilhelm Kolbe d. Ä. (vgl. Kat.-Nr. 56) mehreren Generationen von dilettanti den Weg zur zeichnerischen Erfassung des eigenen ästhetischen Erlebens. Die anschließende Wahl einer professionellen Künstlerkarriere, wie im Fall von Beck (vgl. Kat.-Nr. 72), Krüger (vgl. Kat.-Nr. 73, 85), Schubert (vgl. Kat.-Nr. 79) und der Oliviers (vgl. Kat.-Nr. 55, 57, 59, 61, 78), hing nicht nur von Talent und ökonomischen Möglichkeiten, sondern wohl auch vom individuellen Charakter ab. Friedrich Chapon entschied sich, trotz seiner künstlerischen Neigungen die vom Vater übernommene Materialwarenhandlung zu betreiben. Über Jahrzehnte versorgte er im Eckhaus am Großen Markt, dem »Holländer«, die wohlhabenden Dessauer Haushalte mit Weinen und kulinarischen Spezialitäten.1 In seiner freien Zeit zog es ihn aber vor die Stadtmauern, wo er immer wieder die prachtvollen Bäume der Elbauen zeichnete. Anders als bei seinem Lehrer Kolbe dienten Chapon die Wanderungen nicht dem immersiven Naturerlebnis, welches die temperamentvolle Niederschrift der empfangenen Eindrücke in der häuslichen Werkstatt vorbereitete. Chapons Zeichnungen vermitteln den Eindruck von geduldig vor Ort ausgeführten Bestandsaufnahmen, die in der ruhigen Beherrschung der künstlerischen Mittel ihren ästhetischen Eigenwert entfalten. Dabei sind im Gegensatz zu Kolbes fantastischen Charakterbäumen identifizierbare »Baumporträts« entstanden, wie im Fall des von ihm mit »1834. bei Wörlitz« beschrifteten Blattes. Chapon verwendet hier einen spitzen, harten Bleistift. In den Schatten werden die Striche zunächst gewischt (wie am Wiesengrund noch gut zu sehen) und dann wie in den Baumkronen von feinen Schraffen überdeckt. In den Leibern der Rinder sind diese Strichlagen so fein ausgeführt, dass die einzelnen Linien mit bloßem Auge fast nicht zu erkennen sind. Diese Zartheit des Liniengerüsts verleiht dem Blatt eine eigentümliche Poesie, die zur Prosa des Bildgegenstands in einem reizvollen Gegensatz steht. Denn das bei Kolbe regelmäßig anzutreffende Bildpersonal von Hirte und Herde tritt hier bei Chapon nicht im zeitlosen arkadischen Gewand auf, sondern als sehr gegenwärtiger Landwirt mit Ballonmütze, durchhängendem Hosenboden und Peitsche. Seinen noch etwas mageren Rindern hat er Joche aufgelegt, da er sie wohl auch als Zugtiere nutzt. RR

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