Leseprobe

Zur Geschichte der Kennerschaft in Weimar THOMAS KETELSEN CARSTEN WINTERMANN OETHES DER ZE I CHNUNGEN GOETHES ARBE I TSZ IMMER ALS B I LDERL ABOR Das Arbeitszimmer Johann Wolfgang Goethes in seinem Haus am Frauenplan diente dem Dichter nicht nur als Schreibstube oder physikalisches Experimentierfeld,1 sondern auch als Bilderlabor, in dem er sich mit Zeichnungen und Grafiken aus der eigenen Sammlung beschäftigte (Abb. 1).2 Zahlreichen Tagebucheinträgen ist zu entnehmen, dass er seine Zeichnungs- und Grafikbestände vor allem ab der zweiten Hälfte der 1820er-Jahre fortlaufend systematisierte und etwa nach Schulen ordnete, dass er die von Kunsthändlern aus Leipzig nach Weimar geschickten Ansichtssendungen mit Zeichnungen durchsah, um eine Auswahl zum Ankauf für die eigene oder die Großherzogliche Sammlung zu treffen, aber auch, dass er sich immer wieder einzelne Zeichnungen oder Konvolute anschaute, ohne im Tagebuch eigens zu vermerken, was der konkrete Anlass für die jeweilige Beschäftigung gewesen war. Zwei Einträge mögen die Zweckdienlichkeit von Goethes Arbeitszimmer auch als Bilderlabor belegen. Aus mehreren Tagebucheinträgen vom März und April 1816 erfahren wir, dass sich Goethe mit Zeichnungen des niederländischen Künstlers Jacob van Ruisdael (1628/29–1682) beschäftigt hat: Am 30. März wird nur der Name des Künstlers erwähnt: »Über Peter [sic] Ruysdael«;3 am 9. April heißt es dann: »Prof. Riemer die Ruysdaelischen Zeichnungen.«4 Und fünf Tage später wird nochmals vermerkt: »Sonderung der Zeichnungen. Mit Riemer, Ruysdael u.a.«5 An diesen drei Tagen hatte sich Goethe zusammen mit Friedrich Wilhelm Riemer (1774–1845), einem seiner engsten Mitarbeiter und jahrelangen Vertrauten, mit Zeichnungen von Jacob van Ruisdael befasst – aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem Arbeitszimmer. Aus welchem Anlass er sich aber mit den G Abb.1 Louis Held Goethes Arbeitszimmer in seinem Wohnhaus am Frauenplan, 1886

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