11 Im Dienste einer großen Tradition – Sammeln für Dresden Stephan Koja Es gehört zu den schönsten Aufgaben eines Museumsdirektors, die Bestände des eigenen Hauses durch bedeutende Erwerbungen zu erweitern. Bei alten Sammlungen mit einer langen und bedeutenden Geschichte, wie im Fall der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister oder der Skulpturensammlung, ist man dabei selbstverständlich dem besonderen Charakter des Vorhandenen verpflichtet. Eine sinnvolle Ankaufspolitik für eine solche Sammlung wird sich daher darauf konzentrieren, Verluste zu ersetzen und bestehende Stärken auszubauen. Handelt es sich bei dem Museum um eine Institution der öffentlichen Hand, erlauben die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in der Regel keine großen Sprünge, vor allem, da gerade in Dresden die Qualität der Sammlung ein entsprechend hohes Preisniveau für würdige Neuerwerbungen mit sich bringt. Daraus folgt, dass viele potentielle Ankäufe Träume bleiben und man sehr genau abwägen muss, welches Ziel man verfolgen kann und soll. Die Verantwortung ist groß, nicht nur den Geldgebern gegenüber, sondern auch im Hinblick auf die historischen Gestalter der Sammlung. Dennoch, bei jeder Sammlungserweiterung kann nicht alles nur gezielte Planung sein, denn der schönste und noch so berechtigte Wunsch nützt wenig, wenn kein entsprechendes Objekt aufzutreiben ist. Wie in vielen anderen Bereichen spielt auch hier das Angebot – um nicht zu sagen, der Zufall – eine entscheidende Rolle. Es gibt Momente, in denen man einfach handeln muss, und ein solcher ergab sich 2018, als die prachtvolle Mars-Statuette von Giambologna, die der Künstler 1586 dem sächsischen Kurfürsten Christian I. als Geschenk übersandt hatte und die 1924 an den Familienverein Haus Wettin abgegeben worden war, vollkommen unerwartet zum Kauf angeboten wurde. Dass dieses außerordentlich bedeutende Werk wieder zurück nach Dresden kommen musste, stand völlig außer Frage. In einer beispiellosen gemeinsamen Anstrengung, getragen vom Freistaat Sachsen, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder sowie dem Freundeskreis der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, glückte es in buchstäblich letzter Minute, diese einzigartige Gelegenheit beim Schopf zu packen und Giambolognas berühmte Kleinbronze zurückzukaufen. Damit gelang es nicht nur, eine schmerzliche Lücke zu schließen, sondern auch, Dresdens historische Bedeutung als die dritte Stadt, neben Florenz und Wien, in der das Œuvre dieses herausragenden Renaissance-Bildhauers exemplarisch studiert werden kann, zu festigen. Glückliche Umstände auf dem Kunstmarkt lassen manchmal lange auf sich warten, mitunter folgen sie aber auch so schnell aufeinander, dass man mit den erforderlichen finanziellen Kraftakten kaum mithalten kann. Da ist dann ein langer Atem gefragt und die entsprechende Zähigkeit, an dem gesteckten Ziel festzuhalten. Und das war im Besonderen der Fall bei dem Ankauf, den wir mit dieser Publikation vorstellen wollen. Ich war noch kein ganzes Jahr als Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister und der Skulpturensammlung bis 1800 im Amt, als ich im März 2017 die Kunstmesse in Maastricht (TEFAF), besuchte. Da kam es zu einer jener merkwürdigen Fügungen, die Chance und Herausforderung zugleich sind. Ich hatte begonnen, mich mit meiner neuen Wirkungsstätte in Dresden vertraut zu machen und lernte täglich Neues über die reiche Kunstgeschichte Sachsens. Als eine meiner ersten Handlungen hatte ich bereits im Dezember 2016 eine Auswahl unserer wichtigsten Plastiken der Renaissance und des Barock im ehemaligen »Bellotto-Gang« des Semperbaus neu aufstellen lassen. Darunter befanden sich neben einigen Werken Balthasar Permosers auch solche seines sächsischen Pendants Paul Heermann. Der neue Aufstellungsort ermöglichte es, durch die nicht mehr verschatteten Fenster der nun »Skulpturengang« genannten Galerie in den Innenhof des Zwingers zu blicken, wo sich einige der bedeutendsten monumentalen Schöpfungen (wenngleich heute meist nur in Kopie) dieser beiden Meister befinden. Durch diese Zusammenschau wird der Genius Loci für den Museumsbescher in besonderer Weise erfahrbar. Als ich nun im März 2017 durch die Gänge der TEFAF wanderte, zog mich plötzlich eine Skulpturengruppe aus Marmor in ihren Bann, denn es kommt äußerst selten vor, dass man ein derart qualitätvolles Werk der neuzeitlichen
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