23 Wo anfangen? | Bernhard Wörrle nach 1933 Geschäftsbeziehungen zu jüdischen Händlern unterhalten.13 Auffällig erscheinen auch ein größeres Konvolut von Schreibmaschinen aus der Zeit von 1879 bis ca. 1925, das 1936 vom heute nicht mehr existierenden Handels- und Industrie-Museum Hannover übernommen wurde, sowie eine 1943 vomBayerischen Nationalmuseum als Schenkung erhaltene Zeigerschreibmaschine von 1890. In beiden Fällen könnte es sich um Abgaben nicht mehr benötigter Altbestände handeln.14 Denkbar ist aber auch eine Herkunft aus verfolgungsbedingt veräußertem oder entzogenem jüdischem Besitz.15 Aufgrund der Adressangabe »Feldpost Nr L 04308« geriet bei der Suche nach verdächtigen Begriffen auch ein 1942 in die Sammlung aufgenommenes »russisches Vorhängeschloss mit Einschraubschlüssel« ins Visier (Abb. 3). Mithilfe einschlägiger Internet-Datenbanken16 ließ sich schnell rekonstruieren, dass der Absender des Schlosses bei einer Flak-Abteilung im Einsatz war, die ab Juni 1941 am Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion beteiligt war. Der naheliegende Verdacht, dass es sich um ein Kriegsbeuteobjekt handelt, bestätigte sich schließlich bei einer kurzen Archivrecherche: Laut einer in den Verwaltungsakten abgehefteten Feldpostkarte vom 25. Februar 1942 wurde das Schloss von einem deutschen Soldaten »imDorfe Bal-Samosch« bei Nowgorod »gefunden«.17 Auch bei mehreren aus Frankreich stammenden Flugzeugmotoren, die zusammenmit der eingangs erwähnten Fokker D.VII 1948 über die »Militärregierung von Bayern, aus Beständen des Luftfahrtmuseums Berlin« ans Haus gekommen sind, könnte die Provenienz verdächtig sein. Eine genauere Betrachtung verdienen sicher auch die zwischen 1933 und 1945 inventarisierten Zugänge von »unbekannt«. Ankäufe & Schenkungen von Privatpersonen im Zeitraum 1933 bis 1945 Das Technische MuseumWien (TMW) hat in der 2015 erschienenen Publikation »Inventarnummer 1938« eindrücklich gezeigt, dass auch Alltagsgegenstände und technische Geräte, die in der NS-Zeit von privat erworben wurden, mitunter problematische Provenienzen haben: sei es, weil es sich umÜbergaben von »Ariseuren« handelt, oder aber um verfolgungsbedingte Angebote jüdischer Personen, die ihren Besitz vor der Flucht oder Deportation notgedrungen veräußerten oder verschenkten. In der Sammlung des 13 Siehe hierzu den Beitrag von Ron Hellfritzsch in diesem Band. 14 Das Handels- und Industrie-MuseumHannover wurde ab 1934 neu konzipiert und umgebaut (siehe hierzu Onlinezugang: www.wikipedia.org/wiki/Handels-_und_Industriemuseum_(Hannover), letzter Abruf 25. 3. 2022), auch das Bayerische Nationalmuseum hat zur »Purifizierung« seiner Sammlung immer wieder Abgaben von Altbeständen an andere Häuser vorgenommen (Information Dr. Matthias Weniger, BNM, 17. 5. 2021). 15 Bspw. aus notgedrungenen oder erzwungenen Geschäftsaufgaben. Ab dem 13. November 1941 waren dann »sämtliche in jüdischem Privatbesitz befindliche Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Vervielfältigungsapparate, Fahrräder, Photoapparate und Ferngläser [...] zu erfassen und abzuliefern«, Antijüdische Gesetze und Verordnungen, in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.): Die Nacht als die Synagogen brannten. Texte und Materialien zum 9. 11. 1938, Stuttgart 1998, S. 11 (Onlinezugang: www.lpbbw.de/fileadmin/lpb_hauptportal/pdf/bausteine_materialien/Die_Nacht_als_die_Synagogen_brannten. pdf, letzter Abruf 25. 3. 2022). 16 Z. B. Feldpostnummer-Database auf www.photo-war.com/ru, letzter Abruf 25. 3. 2022. 17 Deutsches Museum Archiv, VA 1374; siehe auch Wörrle: Kriegsbeute (wie Anm. 5).
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