Leseprobe

101 Optisch-technische Instrumente auf Versteigerungen des Übersiedlungsgutes jüdischer Emigrant*innen in Hamburg | Kathrin Kleibl versiegelten. Das Verladen und die Verschickung des Übersiedlungsgutes übernahm eine Speditionsfirma am Heimatort im Auftrag der Emigrant*innen, die wiederum mit überregional tätigen Speditionen und Seespediteuren kooperierte. Sie organisierten die für den Transport günstigste Verbindung. Im Falle einer reibungslosen Versendung wäre das Transportgut in einer Hafenstadt über den dortigen Freihafen auf ein Schiff verladen worden, um schließlich via See zum Zielhafen transportiert und weiter zum endgültigen Zielort verschickt zu werden. Die Beförderung des Übersiedlungsgutes erfolgte meist auf anderen Schiffen und Routen als die Flucht der Emigrant*innen selbst. Der Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs verhinderte das Auslaufen ziviler deutscher Schiffe. Daraus resultierend konnten die bereits in die Hafenstädte transportierten Ladungen nicht mehr verschifft werden. Die Umzugsgüter jüdischer Auswanderer und Auswanderinnen stauten sich somit in den Lagerstätten des Hamburger Hafens und der dortigen Speditionen. Hinzu kam, dass zuvor ausgelaufene Schiffe nach Kriegsausbruch in den nächsten Hafen zurückbeordert wurden; deren Fracht – u. a. Übersiedlungsgut – befand sich nach dem Löschen nun zusätzlich in den Hafenlagern und oft auch aus Platzmangel aufgereiht amKai, womit sie unmittelbar den Witterungsverhältnissen ausgesetzt waren. In Hamburg wuchs das sich aufgestaute Umzugsgut jüdischer Emigrant*innen auf etwa 5 000 bis 7 000 Liftvans und Kisten an, was ungefähr 3 000 bis 4 000 Eigentümer*innen/ Familien entspricht. Das Deutsche Reich wusste durch die Auswanderungsgenehmigungsverfahren und die Dego-Abgabe um die Werte in den Übersiedlungsgütern der jüdischen Emigrant*innen. Es sann nach rechtlich abgesicherten Wegen, diese »verwerten« zu können. Die drohende Feuergefahr bei Bombenangriffen wurde zunächst als Argument dafür genutzt, die Kisten aus demHamburger Hafen zu entfernen. Die Gestapo beschlagnahmte ab Frühjahr 1940 die Umzugsgüter und beauftragte Gerichtsvollzieher4 und Auktionshäuser, die Gegenstände meistbietend zu versteigern. Legitimiert wurde die Beschlagnahme durch die bestehende Regelung, dass Personen, die das Deutsche Reich nach 1933 dauerhaft verließen, als ausgebürgert galten. Die sich noch auf deutschem Boden befindlichen Besitztümer der Entrechteten gingen automatisch in den Besitz des Reiches über – somit auch die in Hamburg gestrandeten Übersiedlungsgüter. Diese Form der Beschlagnahme bedurfte jedoch für jeden einzelnen Fall eines Ausbürgerungsverfahrens und war entsprechend aufwendig. Bis November 1941 waren die Behörden bestrebt, die Übersiedlungsgüter in den Häfen und Speditionslagern zu erfassen;5 sie diskutierten über deren effektivste Verwertungsmethode und versteigerten bereits gleichzeitig im großen Umfang das Hab und Gut der jüdischen Emigrant*innen.6 Die am 5. November 4 Gerichtsvollzieherei, Lager- und Versteigerungshaus, Drehbahn 36. 5 Ein Schreiben des Reichsfinanzministers an die Oberfinanzpräsidenten vom 8. 7. 1941 wies die Hauptzollämter an, das bei den Speditionen eingelagerte und unter Zollverschluss zurückgehaltene »Umzugsgut den Stapo(leit)stellen zum Zwecke der Versteigerung freizugeben«. 6 Der Gauleiter und Reichstatthalter Hamburgs Karl Kaufmann beauftragte ab März 1941 die Gestapo, das »Umzugsgut deutscher Juden« öffentlich versteigern zu lassen. In einem späteren Schreiben vom 4. 9. 1942 erklärte Kaufmann dem Reichsmarschall Hermann Göring: »Im Freihafen lagerte eine große Menge jüdisches Umzugsgut, das zu einer großen Gefahr zu werden drohte, wenn diese große Menge beim Luftangriff etwa in Brand geriete. Es ist deshalb auf meinen Vorschlag hin von seiten der Gestapo das Umzugsgut beschlagnahmt worden, damit es zur Verwertung von Bombengeschädigten versteigert werden konnte.«– National Archives Washington, Miscellaneous German Records Collection, Microscopy No. T84 Roll, No. 7.

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