Leseprobe

q 16 Einführung Abb. 9 Trinitätszone des ehem. Hochaltarretabels der Zisterzienserabteikirche Zwettl. Adamov, St. Barbara (Foto: M. Zavadil) sich vor der dort ausgestellten Apostelzone versammelten. 200 Jahre nach seiner Aufstellung im Hochchor (1526) wirkte das Retabel auf den damaligen Betrachter jedoch offenkundig unmodern, »altvätterisch«. Der Begriff »embsigkeit« dürfte den unruhigen, ausdrucksstarken Stil der Figuren umschreiben. Auchwenn nicht auszuschließen ist, dass jene Äußerung die Planungen für einen barocken Nachfolger nachdrücklich unterstützen sollte, spiegelt sie gewiss den damaligen Zeitgeschmack wider. In den 1720er und 1730er Jahrenwurden sowohl die Zwettler Turmfassade (Abb. 4), das Stiftsportal im Abteihof als auch die Bibliothek barockisiert.4 Im Zuge dieser Neuausstattung wurde neben etlichen Seitenaltären auch das zentrale liturgische Ausstattungsstück ersetzt.5 Wiederumvon einem geänderten Zeitgeschmack zeugt die Bewertung des spätgotischen Mittelschreins durch Eduard Freiherr von Sacken im Jahr 1855: Während der qualitativ hochwertigen »Durchführung und [...] Virtuosität« höchstes Lob zukommt, entspreche der Schrein in ästhetischstilistischer Hinsicht nicht dem allgemeinen »Schönheitssinn«.6 Der zweite Aspekt macht durch den Hinweis auf die Gründungslegende auf den engen Zusammenhang des Retabels mit dem Kloster Zwettl aufmerksam. Nicht das ikonografische Programm war offenkundig eine Erwähnung wert, sondern der Eichenbaum, das Alleinstellungsmerkmal des Klosters: Der den spätgotischen Mittelschrein rahmende Eichbaum bezieht sich unmittelbar auf die Zwettler Gründungslegende, der zufolge dieMuttergottes demBabenberger Ministerialen Hadmar I. von Kuenring († 1138), dessen Familie zu einemder bedeutendsten österreichischenMinisterialengeschlechter im Mittelalter werden sollte, in einem Traum ein Wunder geweissagt hatte. Als er am darauffolgenden Tag bei einemwinterlichen Ritt durch

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