39 q Als grundlegende Quelle zum Auftraggeber, zum Zeitraumder Fertigung sowie zur Aufstellung des Retabels diente der Forschung von jeher die Klosterchronik der Annales Austrio-Claravallenses, zusammengestellt gegen 1639 durch den späteren Zwettler Abt Johann Bernhard Linck (amt. 1646–1671).1 Seinerzeit amtierte er noch als Subprior und Novizenmeister und war von Abt Martin II. Günter (amt. 1625–1638) mit der Abfassung der Klosterchronik beauftragt worden.2 Erst 1723 bis 1725 wurde das Werk auf Veranlassung des Abtes Melchior Zaunagg (amt. 1706–1747) gedruckt. Es wird sich im Folgenden zeigen, dass darin weit mehr Informationen zum Retabel, zu seinen Stiftern, ihren personellenNetzwerken und den Stiftungshintergründen enthalten sind, als bisher erkannt wurde. Dafür wurden in der vorliegenden Arbeit neben der gedruckten Version auch erstmals ausführlich die handschriftlichen Fassungen Lincks herangezogen, aus denen vermutlich der Zwettler Historiograf Johann von Frast schöpfte. Es existieren heute vier handschriftliche Exemplare der Klosterchronik imArchiv des Stifts Zwettl (Hs. 3/19, 3/20, 3/21, 3/22), die mit großer Wahrscheinlichkeit Vorarbeiten für die lateinische Druckfassung darstellen, aber nicht vollkommen deckungsgleichmit der lateinischen Ausgabe sind. Vereinzelt enthalten sie wertvolle Details, die keinen Eingang in die Druckfassung fanden; andererseits fallen einige Beschreibungen weniger ausführlich aus. Viele der in der lateinischen Chronik genannten Namen werden nicht aufgeführt. So bleibt der Kistler Andreas Morgenstern in den Handschriften unerwähnt. Im Folgenden beziehe ich mich auf drei inhaltlich größtenteilsmiteinander übereinstimmende Versionen (Hs. 3/19, 3/21 und 3/22).3 Eine Transkription der Passagen zwischen 1505 und 1526 findet sich im Anhang. Erstmals wurde das Retabel durch den Bericht Eduard von Sackens über »den in der Kirche zu Augustin neu aufgestellten Schnitzaltar aus dem Stift Zwettl« von 1855 einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Das 1852 an Graf Samuel Festetics und später nach Wien verkaufte Retabelkorpus wurde 1853 einer Restaurierung durch Georg Plach unterzogen und fand ein Jahr später für kurze Zeit Aufstellung in der dortigen Augustinerkirche. Aus finanziellen Nöten hatte sich der damalige Abt Augustin Steiniger (amt. 1847–1875) gezwungen gesehen, es der Zentralen Denkmalskommission zu überlassen, die sich erfolglos umden Rückkauf desWerks bemühte, bevor es durch Alois II. Fürsten von Liechtenstein nach Adamov verbracht wurde. Sackens detaillierte Beschreibung gibt Aufschluss über den damaligen Zustand des Schreins. Der Verfasser führte zudem die erwähnten Annales Austrio-Claravallenses in die Erforschung des Retabels ein, aus denen er einige wesentliche Informationen zu den Stiftungshintergründen schöpfte.4 In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts verfasste der Zwettler Abt Stephan Rössler zwei Schriften zum Kloster und seiner Einrichtung, in denen das Retabel als Teil der vorwiegend spätgotischen Ausstattung des Hochchors Erwähnung fand. Sein Engagement für das Kloster war neben den Schriften auch von dem gescheiterten Versuch gekennzeichnet, im Jahr 1891 den in Adamov aufgestellten Mittelschrein wieder in den Besitz des Stifts zu bringen.5 Eingang in die breite kunsthistorische Forschung fand das Retabel mit Adolf Feulners (1926) undWilhelm Pinders (1929) Überblickswerken zur deutschen Plastik des Spätmittelalters und der Neuzeit, die sich jeweils in aller Kürze vor allem der stilistischen Einordnung des Werks widmeten.6 Die erste, nur 46 Seiten umfassendemonografische Abhandlung über das Retabel stammt aus dem Jahr 1936 und wurde in tschechischer Sprache verfasst.7 Die Beiträge Herbert Seiberls von 1936 und 1944 gehören zu den ersten ausführlicherenwissenschaftlichen Abhandlungen über das Retabel. In seinem ersten Beitrag beschäftigte er sich neben einer eingehenden Beschreibung und ikonografischen Abhandlung insbesonderemit der Einordnung des Werks in einenWiener Kunstkreis, in dem vor allemdas Kefermarkter Retabel als stilistischer Vorgänger bestimmt wird. Des Weiteren werden darin bereits dem Retabel stilistisch nahestehende Werke genannt, wie etwa das Retabel inMauer bei Melk (Abb. 123) oder dasjenige von Altmünster (vollendet 1518, Abb. 164). Der zweite Aufsatz geht über die allgemeine stilistische Einordnung hinaus und behandelt konkrete Zuschreibungsfragen an den Zwettler Meister. Darinwerden erstmals der steinerne Ölberg der Pfarrkirche in Melk (Abb. 187) sowie das ebenfalls steinerne Weltgerichtsrelief amWiener Stephansdom genannt.8 Die Frage nach Entstehung und Hintergründen des ausdrucksstarken Stils streifte Karl Oettinger 1939, indem er das Zwettler wie auch das Mauerer Retabel in
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