Leseprobe

8.1 Gestaltungsmerkmale 215 q Die Namen der Bildhauer des ehemaligen Zwettler Hochaltarretabels sind archivalisch nicht belegt. Dieses letzte Kapitel widmet sich – vor dem Hintergrund der historischen und bisherigen formanalytischen Überlegungen – vorrangig ihrer Arbeitsweise, der Unterscheidung von schnitzerischen Handschriften und der Frage nach eigenhändigen Werken der Mitarbeiter. Aus der gewählten methodischen Vorgehensweise wird jedoch bereits deutlich, dass es in dieser Studie nicht primär darumging und gehen konnte, in einer eher werkimmanentenWeise verschiedene »Hände« auszumachen oder gar den »Meister« von seinen Mitarbeitern zu scheiden. Dafür ist zumindest bei den erhaltenen Teilen des Zwettler Retabels die Arbeitsweise zu einheitlich. Dennoch ist es natürlich wichtig, Auftragsradius und Ausdrucksmöglichkeiten der Werkstatt, die ein so bedeutendes Werk wie das Zwettler Retabel schuf, zu analysieren und genauer als bisher zu fassen. Aus genannten Gründen bleibe ich mit der gebotenen Vorsicht bei der Formulierung »Zwettler Werkstatt«, statt in einer »klassischen« Weise vom »Zwettler Meister« zu sprechen. Es gab zwar gewiss einen Werkstattleiter, und es steht zu vermuten, dass er seinen Mitarbeitern einheitliche Typen, Motive und ein bestimmtes Formenvokabular vorlegte, nach deren Vorlage die »sculptores«1 die Figuren schnitzten. Aber es ist nicht das Ziel heutiger stil- undmotivgeschichtlicher Untersuchungen, wie sie nun folgen sollen, aus dem formalen Ergebnis eines Auftrags eine eindeutigeWerkstattstruktur herauszulesen. Diskutiert werden die auf stilkritischer Basis erfolgten, chronologisch geordneten Zuschreibungen an die Zwettler Werkstatt ebenso wie die direkten, belegbaren künstlerischen Anregungen, also die künstlerische Tradition, in der sie steht. Es soll aber zunächst möglichst offen gelassen werden, wo diese Werkstatt hauptsächlich tätig war, wie sie sich zusammenfand und ob sie möglicherweise als ein »Nachfolgebetrieb« des Malerunternehmers Martin Kriechbaum anzusehen ist. 8.1 Gestaltungsmerkmale Die bereits angedeutete Einheitlichkeit der stilistischen Ausführung der Zwettler Schreinskulptur erstaunte bereits 1936 Herbert Seiberl, führte ihn aber zu einer zeittypischen Schlussfolgerung: »Der Hauptmeister muß die von verschiedenen Künstlern angefertigten Teile nachträglich einander angeglichen haben. Denn die Skulpturen des Schreins wirken so einheitlich, daß sie im wesentlichen als das Werk eines einzelnen angesprochen werden müssen.«2 Die Einheitlichkeit ist nicht zu bestreiten, aber ist sie tatsächlich die Folge des Eingreifens »letzter Hand« einer führenden Persönlichkeit? Wie hat man in jenen Werkstätten, die es offenbar auf einen einheitlichen und somit wiedererkennbaren Stil abgesehen hatten – man braucht da ja nur an die berühmten Protagonisten wie Tilman Riemenschneider, Veit Stoß oder Hans Leinberger zu denken, dieses Ziel tatsächlich erreicht? Vermutlich nicht durch eigenhändiges Eingreifen des Meisters in jedem Bereich. Es ist wahrscheinlich, dass man sich in der Werkstatt Mustervorlagen oder Typenmodellen bediente, abgesehen natürlich von mündlichen Anweisungen und Absprachen, mit denen man immer wieder Korrekturen vornehmen konnte. Gábor Endrődi hat zuletzt auf diemannigfache Verwendung bestimmter Charaktere und Faltenformationen in unterschiedlichen Werken des in Wien und für dessen Umfeld tätigen Meisters M. T. hingewiesen.3 Aus der Zwettler Klosterchronik ist bekannt, dass die Werkstatt aus sechs »sculptores« bestand, weshalb man (letztlich ohne nähere Begründung, sondern eher aus einem klassischen Werkstattverständnis heraus) von einem Meister und fünf Mitarbeitern ausgeht.4 Einer dieser Bildhauer wird nach Zwettl verortet, jener, der als Schnitzer des sitzenden Schmerzensmanns für das Sakramentshaus erwähnt wird.5 Allerdings bleibt dies alles hypothetisch, könnte doch auch für diesen Großauftrag von einemAuftragnehmer eine Gruppe befähigter Leute zusammengestellt worden und diese dann zeitweilig in Zwettl tätig gewesen sein. Auch entziehen sich die verschwundenen Teile des Retabels jeglicher stilkritischen Einordnung, sodass in dieser Hinsicht nicht mehr feststellbar ist, ob es möglicherweise eine Arbeitsteilung gab, wie es bei großen Retabeln, die Skulptur undMalerei kombinierten, so in Zwickau oder Schwabach, ja offensichtlich ist. 8.1.1 Gestaltungstypen der Gesichtsmodellierung, von Körperteilen und Draperien Versucht man, sich der Arbeitsweise und einer möglichen Arbeitsteilung unter den Bildhauern zu nähern, wäre zum Beispiel bei immer wiederkehrenden Phänotypen anzusetzen, die im Schrein ausgemacht werden können und die vermutlich nach Vorlagen geschaffen wurden. Trotz der Einheitlichkeit variieren vor allemdie Apostel in ihren Haar- und Barttrachten oder im Ausmaß der ekstatischen Verrenkung. Während zum Bei-

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