Leseprobe

q 216 8 Die für Zwettl tätige Werkstatt spiel der vorn kniende bärtige Apostel trotz faltenreicher Gesichtsmodellierung von beruhigtem Antlitz ist (Abb. 14), wirkt der Kopf des Apostels, der hinter dem Rauchfassanbläser versteckt ist, deformiert (Abb. 153). Grundsätzlich sind bei den Aposteln zwei Typen phänotypisch voneinander zu unterscheiden, die insgesamt durch harte Gesichtszüge und eine scharfkantige Linienführung geprägt sind: einerseits die albtraumhaft überzeichneten Figuren mit ihren das Gesicht überziehenden tiefen Falten, den Krähenfüßen um die Augen und dem fischartigen Mund, bei dem die Oberlippe wesentlich rundlicher, fast schon wulstartig über der Unterlippe liegt. Entlang der Nasolabialfalten zeigen sich ausgeprägte Wülste (Abb. 154). Andererseits der jugendliche, langhaarige Typus, zu dem Johannes (Abb. 15), Jakobus Minor, aber auch Christus und der Heilige Geist in der Trinität (Abb. 27, 129) gehören. Beiden Typen sind die langen, gebogenen Nasen eigen, die durch eine meist stark eingedrückte Nasenwurzel besonders deutlich hervorspringen; auch die hohen, oft deutlich hervortretendenWangenknochen, über die sich die Haut spannt und denen dann teilweise tiefe Höhlungen in der Wange selbst entsprechen, kennzeichnen die Physiognomie der männlichen Figuren. Ausgenommen sind der ins Buch blickende, bartlose Philippus (Abb. 155) und der das Rauchfass anblasende Apostel (Abb. 22), deren feiste Gesichter von tiefen Furchen überzogen werden. Die aufgeblähten Backen des Letzteren scheinen in eingeschnittene Faltenwülste unterteilt zu sein. Zu den stilprägenden Eigenschaften gehören außerdemdie als scharfe Linien gezogenen Augenbrauen, deren fleischig hervortretender Wulst die Augenpartie noch plastischer herausmodelliert. Die Augäpfel wirken trotz der Plastizität der Höhlungen eher flach, da Oberlid und besonders das öfter rundlich nach oben gezogene Unterlid nur einen Ausschnitt freilassen, der die Augen insgesamt schmal wirken lässt. Die tief in den Augenhöhlen verborgenen Augenwerden vonmehreren parallelen Einkerbungen begleitet. Seitlich verteilen sich Krähenfüße gleichmäßig über den oberen Wangen- und Schläfenbereich und betonen die Wangenpartie noch stärker. Von diesen oft verhärmten, zumeist »harten« Typen unterscheiden sich die Gesichtsmodellierung und -charakterisierung der Muttergottes und ihrer Engelschar in auffälliger Weise. Hier herrschen vornehmlich rechteckige, glatte und faltenlose Gesichter mit sehr breiter Unterkieferpartie und kleinem, rundlichen Kinn vor (Abb. 22–24, 128), wobei das Gesicht der Muttergottes eine länglich-ovale Formhat, die durch ihre ausrasierte Stirn besonders betont wird (Abb. 127). Auch läuft ihr Kinn etwas spitzer zu als das scharfkantig abgeflachte Kinn der Engel. Gerade die Art der Bearbeitung der Nase zeigt die Unterschiede zu den Aposteln auf: Die spitze, leicht schiefe, bei Maria sehr lange und schmale Nase bildet einen geraden, schmalen Steg zwischen der hohen Stirn und dem breiten, nach unten dreieckig auslaufenden Philtrumohne Lippenherz, wobei sie bei den Engeln meist von breiteren Nasenflügeln begleitet wird. Eine Variation zeigen die drei vom Betrachter aus linken Spruchbandengel (Abb. 28), vor allem deren linker, dessen Stupsnase mit abstehender Nasenspitze und aufgeblähten Nasenflügeln durch ausgeprägte Nasolabialwulste betont wird. Auffällig ist die äußerst belebte Mimik all dieser drallen, die Spruchbänder haltenden und singenden Engelchen (Abb. 28–30). Ihre Münder Abb. 153 Hinterer Apostel der linken Apostelgruppe im Schrein des ehemaligen Zwettler Hochaltarretabels. Adamov, St. Barbara (Foto: M. Zavadil)

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