14 T15 J OS E F L ANG Religionsfreiheit – ein fremder Gast in unseren Tälern Im Juni 1870 schrieb der Bundesrat in seiner Botschaft zur Totalrevision der Bundesverfassung: «Der Gedanke der religiösen Freiheit entstand in dem freien Land jenseits des Oceans; er kam als ein fremder, mit vielem Misstrauen angesehener Gast nach dem alten Europa zurück und auch da nicht zum ersten in unsere Täler.» Die Schweiz sei zwar «das Land der politischen Freiheit», aber die «religiöse Freiheit» sei «von jeher durch Gesetz und Sitte sehr beschränkt» geblieben. Bereits die Bundesverfassung von 1848 hat die politische Freiheit über die Religionsfreiheit gestellt. Immerhin hat sie die Gleichstellung der christlichen Konfessionen und Staatsbürger festgeschrieben. Das bedeutete, dass Katholikinnen und Katholiken auch in protestantischen und Protestantinnen und Protestanten in katholischen Kantonen die Niederlassungs- und Glaubensfreiheit sowie die politischen Rechte bekamen. Was für ein Riesenschritt das war, zeigt die massive Gegenkampagne im Sommer 1848. In Uri warnte ein ehemaliger Landammann davor, dass «künftig die Protestanten auf den Strassen Altdorfs predigen dürfen». An der Nidwaldner Landsgemeinde wurde behauptet, «die Katholiken kämen unter die Herrschaft der Protestanten». In Zug prophezeiten Geistliche, «die Katholiken müssten ihren Glauben abschwören und Protestanten werden». Die konfessionalistische Abwehr gegen Andersgläubige, die es auch in protestantischen Gebieten gab, war ein wichtiger Grund dafür, dass den zahlreichen Neuzuzügerinnern und Neuzuzügern die politische Partizipation in den Gemeinden erschwert wurde. Die Ersetzung oder Ergänzung der Bürgergemeinden durch Einwohnergemeinden, die nach der ersten Totalrevision der Bundesverfassung erfolgte, stärkte die jeweiligen konfessionellen Minderheiten.
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