Leseprobe

12 T13 bestimmen. Ausgehend von diesem grossen Demokratisierungsschritt befassen sich die Ausstellung und dieses Begleitbuch mit der Ausbildung von Grundrechten, die in die heute gültige Verfassung von 1999 Eingang gefunden haben. Mit der Ratifizierung der europäischen Menschenrechtskonvention 1974 fügt sich die Schweiz in ein übergeordnetes Rechtssystem ein. Die Urteile vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg sind von nun an zusammen mit den Bundesgerichtsurteilen und den Volksinitiativen Verfassung-in-the-making. Wie europäische Grundrechte konkret Eingang in die Schweizer Bundesverfassung gefunden haben, erörtert Helen Keller in ihrem Beitrag. Regula Argast zeigt mit einem Fallbeispiel zur Einbürgerungspraxis in den 1960er Jahren, welche Ideologien gegen die politische Teilhabe von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz bis heute wirken. Und dass Religionsfreiheit auch im späten 20. Jahrhundert nicht für alle religiösen Gemeinschaften gleiche Gültigkeit hat, reflektiert Jacqueline Grigo am Breispiel von Debatten und juristischen Verhandlungen über das Kopftuch muslimischer Frauen. Die Schweizer Bundesverfassung vermag, wie die hier versammelten Beiträge zeigen, gesellschaftlichen Wandel zu integrieren, weil sie revidierbar und offen für Ergänzungen ist. Das wird auch künftig nötig sein, wenn es um das demokratische Aushandeln kontroverser politischer Themen geht: Soll die ausländische Wohnbevölkerung – zwischenzeitlich ein Viertel aller in der Schweiz lebenden Menschen – politisch mitbestimmen? Was braucht es in einer Verfassung und was eben auch nicht, damit Religionsfreiheit für alle gilt? Wie lassen sich Tech-Giganten dazu bewegen, die Privatsphäre ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu respektieren? Oder wie kann der Klimakrise verfassungsrechtlich adäquat begegnet werden? In diesem Sinn fragt der Ausblick von Debjani Bhattacharyya in diesem Heft: Braucht die Schweiz ein Recht auf Kälte?

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