Leseprobe

18 stattfinden können, und greift damit eine normorientierte Handlungstheorie des Homo sociologius auf, wie sie schon bei Durkheim (1895) oder Parsons (1937) verwendet wurden.11 Objekte werden so zu einem ›materialisierten Verstehen‹, zu dem Reckwitz betont: »When human agents have developed certain forms of know-how concerning certain things, these things ›materalize‹ or ›incorporate‹ this knowledgewithin the practice (the latter restriction is important because ›as such‹ and beyond complexes of practices things do not incorporate anything—at least from the point of view of a post-Wittgensteinian theory).«12 In diesem Kontext werden auch Bourdieus praxeologische Konzepte von ›Habitus‹, ›Distinktion‹, ›sozialem Feld‹ oder der ›Inkorporiertheit von Wissen‹ deutlich.13 Die Rolle des Subjekts scheint jedoch innerhalb eines praxeologischen Verständnisses die vollständige Gleichberechtigung der menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten im Sinne Latours in einem Netzwerk sozialen Handelns relativieren zu müssen.14 Gleichwohl wandeln sich Wertzuweisungen von Objekten erst durch ein Handeln, ihr eigenes Handlungspotenzial besteht in ihrer eigenen Form, Symbolik und Biografie.15 Betrachtet man das von Theodore R. Schatzki geprägte Konzept des arrangements, in dem Menschen, Objekte und Organismen interagieren, Positionen einnehmen und diese praktischen Vollzüge ihre bestehenden Relationen untereinander stetig aktualisieren, wird die Nähe zur ANT deutlich.16 Schatzki betont jedoch das handelnde Moment, die Praktiken (practices), neben den arrangements als notwendiges zweites Prinzip für die Konstituierung sozialer Phänomene und ergänzt damit die ANT in einem für die Untersuchungsgegenstände des Forschungsprojekts zentralen Aspekt.17 Das Handeln, die Praktik, ist dabei untrennbar von der routinierten Körperlichkeit des Akteurs zu trennen und umfasst sowohl die ›Inkorporiertheit von Wissen‹ als auch die Performativität des Handelns selbst.18 Die ANT bietet wiederum ein methodisches Beschreibungswerkzeug für ein soziales, auf dem Umgang mit und der Bedeutung von Objekten basierendes Phänomen, das die Abfolgen der einzelnen Schritte des Umgangs mit diesen Kunstobjekten in einem spezifischen sozialen Kontext in Form von Akteur-Netzwerken nachzeichnet.19 Skizzierungen zu einem praxeologischen Deutungsschema für einen (kunst-)objektbasierten sozialen Aufstieg Vor dieser Folie soll daher ein Deutungsschema skizziert werden, das gesellschaftliche Aufstiegsprozesse von Individuen anhand eines spezifischen Gebrauchs von und Umgangs mit Kunstobjekten zeigen kann und damit an sich eine soziale Praktik darstellt.20 Diese Umgangsweisenmit Kunstobjekten auf einer Mikroebene, die über ihre bloße Beschreibung in Formvon Inventaren, Korrespondenzen Main 2014; Talcott Parsons, The structure of social action. A study in social theory with special reference to a group of recent European writers, New York 1968. 12 Reckwitz (wie Anm. 5), S. 212. 13 Pierre Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 291), 3. Aufl., Frankfurt am Main 2012; Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft (Suhrkamp TaschenbuchWissenschaft, Bd. 1066), 9. Aufl., Frankfurt am Main 2015; Pierre Bourdieu, Méditations pascaliennes (Collection Liber), Paris 1997. 14 Reckwitz (wie Anm. 5), S. 214; Marian Füssel und TimNeu, Reassembling the Past?! Zur Einführung, in: Akteur-Netzwerk-Theorie undGeschichtswissenschaft, hg. vonMarian Füssel und Tim Neu, Paderborn 2021, S. 1 –26, hier S. 21. 15 Wenzel (wie Anm. 3), S. 198. 16 Theodore R. Schatzki, The Site of the Social. A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change, University Park 2002, S. 20–25; Theodore R. Schatzki, Materiality and Social Life, in: Nature and Culture, 5, 2010, S. 123 –149, hier S. 135; Freist (wie Anm. 6), S. 272. 17 Schatzki (wie Anm. 16), S. 134 –135. 18 Reckwitz (wie Anm. 5), S. 290. 19 Füssel/Neu (wie Anm. 14), S. 19 –20; Tim Neu, ANT als geschichtswissenschaftlicher Ansatz, oder: Kurzreiseführer für eine flacheWirklichkeit voller Assoziationen, Handlungsträger und Textlabore, in: Akteur-Netzwerk-Theorie undGeschichtswissenschaft, hg. vonMarian Füssel und TimNeu, Paderborn 2021, S. 27–72, hier S. 50; Bruno Latour, Über die Akteur-Netzwerk-Theorie. Einige Klarstellungen, in: Literarische Netzwerke im 18. Jahrhundert. Mit den Übersetzungen zweier Aufsätze von Latour und Sapiro (Bruno Latour und die Aufklärung. Literarische Netzwerke im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2017), hg. von Lore Knapp, Bielefeld 2019, S. 45 – 66, hier S. 63; Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft), Frankfurt am Main 2010, S. 230–231. 20 Bislang hat sich

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