Leseprobe

19 oder Reiseberichten hinausgehen, sind bislang wenig empirisch erforscht. Durch den Gebrauch von Objekten verändern sich Kontexte fortwährend, die Objekte, und damit auch Kunstobjekte, transformieren sich und werden symbolisch umgewertet.21 Im Kontext des PARVENUE-Projekts geht es daher imSpannungsfeld zwischen Subjektivierungsprozessen und Kunstobjekten umdie Frage nach der materiellen Basis für die erfolgreiche Weitergabe von Wissen, Erfahrungen und Erkenntnissen, die dadurch bedingte Entstehung von sozialen Räumen und Zeiten sowie umAuswirkungen derWissenstradierung auf das tradierteWissen selbst.22Wie können sich soziale Ordnungen und relationale Positionen von aufsteigenden Individuen als Subjekte in Praktiken konstituieren, verworfen oder wieder neu ausgerichtet werden?23 Kunstobjekte sind in diesen Aufstiegsszenarien zentral für die Akzeptanz in der jeweiligen Zielgesellschaft: Es gibt in jeder elitären Gruppe spezifische Repräsentationsstandards und kulturelle Codes, die wahrgenommen, verstanden und richtig angewendet werden müssen. Im 18. Jahrhundert, dem Untersuchungszeitraum des PARVENUE-Projekts, ist eine kulturelle Prachtentfaltung zu beobachten, die vor allem mit kostspieligen Investitionen in diverse künstlerische Gattungen einherging. Zu diesen zählten unter anderemBauwerke, Gartenanlagen, Raumausstattungen, Gemälde, Skulpturen, Möbel, Textilien und Porzellan – all dies soll hier verallgemeinernd als Kunstobjekte bezeichnet werden. Die sichtbare Dokumentation des eigenen Rangs und Status durch aufwendige Kunst- und Bauwerke hatte eine bedeutende soziale Dimension, die bewusst eingesetzt wurde.24 Gerade Bauwerke besaßen in Adelsgesellschaften, aber nicht nur dort, zudemdie Funktion einer Memorialpraktik. Eindrucksvolle Schlösser und Herrenhäuser wurden mit Wappen und anderen Herrschaftszeichen der Auftraggeber versehen und bewahrten so dauerhaft das Ansehen der Familie.25 Pečar stellt etwa für Adelsgesellschaften sehr genau heraus, dass Kunstverständnis sogar als Grundlage einer »höhere[n] Diginität« des Adels angesehen wurde und dieser somit verpflichtet war, die richtigen künstlerischen Mittel mit bestimmten ästhetischen Qualitäten für eine gelungene Repräsentationsstrategie auszuwählen.26 Zugehörige Akteure, und das gilt wieder für alle elitären Gruppen, beherrschten damit die jeweiligen kulturellen Codes, während außenstehende Adressat:innen in die Rolle des staunenden Publikums versetzt wurden.27 Es galt also für Aufstiegswillige, diese impliziten Regeln für einen erfolgreichen Umgang mit Kunstobjekten zu dechiffrieren und danach zu handeln. Latours kulturelle Mechanismen und Schatzkis vier Hauptelemente von sozialen Praktiken bilden den Anstoß für folgende Überlegungen, die die ANT als methodisches Beschreibungswerkzeug für Phänomene von kunstobjektbasierter sozialer Mobilität theoretisch weiterentwickeln sollen.28 Das Ausgangsproblem für individuelle Aufsteigerinnen und Aufsteiger ist zunächst die im Setting ihres Innerhalbs fehlende Ökonomie, etwa kulturelles und symbolisches Kapital, um eine Position in der im Außerhalb liegenden avisierten Zielgesellschaft zu erreichen. Das Innerhalb bezeichnet die ›Innenwelt‹ und die ›Mikroebene‹ des Akteurs, das Außerhalb umfasst die ›Außenwelt‹ oder ›Makrodie historische Frühneuzeitforschung überwiegend mit gesellschaftlichen Kollektiven und ihren Aufstiegsambitionen zu Funktionseliten im Kontext von städtischen Gesellschaften, aber auch bürgerlich-bäuerlichen Eliten befasst, siehe eine Übersicht bei Dagmar Freist, »Ich will Dir selbst ein Bild von mir entwerfen«. Praktiken der Selbst-Bildung im Spannungsfeld ständischer Normen und gesellschaftlicher Dynamik, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung (Praktiken der Subjektivierung, Bd. 1), hg. von Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde und Dagmar Freist, Bielefeld 2013, S. 151 –174, hier S. 152–155. Für die Kunstgeschichte steht eine grundlegende Befassung mit diesem Thema noch aus. Das ›PARVENÜ‹-Projekt möchte eine strukturierte Auseinandersetzung mit diesen subjektivierten Phänomenen anstoßen. 21 Hans Peter Hahn, Die Unsichtbarkeit der Dinge. Über zwei Perspektiven zu materieller Kultur in den Humanities, in: Materialität. Herausforderungen für die Sozial- und Kulturwissenschaften, hg. von Herbert Kalthoff, Torsten Cress und Tobias Röhl, Paderborn 2016, S. 45 – 62, hier S. 59; Wenzel (wie Anm. 3), S. 198–199. 22 Henning Schmidgen, Bruno Latour zur Einführung, 2. Aufl., Hamburg 2011, S. 13 –14. 23 Freist (wie Anm. 20), S. 161; Thomas Alkemeyer, Subjektivierung in sozialen Praktiken. Umrisse einer praxeologischen Analytik, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung (Praktiken der Subjektivierung, Bd. 1), hg. von Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde und Dagmar Freist, Bielefeld 2013, S. 33 – 68. 24 Andreas Pečar, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711 –1740) (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), Darmstadt 2003, S. 266. 25 Ebd., S. 267. 26 Ebd., S. 268. 27 Ebd., S. 269. 28 Bruno Latour, Gebt mir ein Laboratoriumund ich werde dieWelt aus den Angeln heben, in: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur AkteurNetzwerk-Theorie, hg. von Andréa Belliger und David J. Krieger, Bielefeld 2006, S. 103 –134; Schatzki (wie Anm. 16).

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