66 diverse Beiträge dieses Bandes zeigen. Um das Klischee von den Imitatoren zu brechen, sind die kulturellen Leistungen der Parvenüs als Innovatoren in den Vordergrund zu stellen, die sich im gesellschaftlichen Wettbewerb mit neuen Ideen durchsetzen konnten.2 Künstlerinnen waren von dieser Herausforderung besonders betroffen, wenn sie Karriere machen wollten, weil ein solcher Aufstieg gleich doppelt gegen gesellschaftliche Konventionen verstieß. Und Künstlerinnen-Parvenüs der Aufklärungszeit waren mitnichten Parasiten oder Nachahmerinnen, die sich anpassten, um gewissermaßen ›unter dem Radar zu fliegen‹ und um sich in ihre Zielgruppen einzuschleichen. Das im Folgenden zu beleuchtende Beispiel zeigt das Gegenteil: Künstlerinnen-Parvenüs traten immer wieder aus der Deckung heraus, waren oft Paradiesvögel, auffallend und dennoch von subtiler Zurückhaltung. Sie mussten, um ihrer traditionellen ›passiven‹ Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau zu entkommen, mit dem Patriarchat brechen, ohne es infrage zu stellen.3 In ihrer nunmehr ›aktiven‹ Rolle als Künstlerin und Geschäftsfrau, die ihre Kunst auch vertreiben wollte, konnten sie ohne ausgefeilte Legitimationsstrategien kaum bestehen. Denn sie mussten über Eigenschaften des doctus artifex oder pictor doctus verfügen, die in der damaligen Theoriebildung nur denMännern zugesprochen wurden.4 Den Drahtseilakt zwischen Männer- und Frauenrolle zu bestehen, war nicht zufällig ein Thema in den feministischen Handbüchern der Zeit. Sie empfahlen (nicht nur für Künstlerinnen) die dissimulatio als Kardinaltugend der Frau, ihre geistreiche Verstellung, um in der Männerwelt zu reüssieren. Die Kunstgeschichtsforschung ignorierte Künstlerinnen lange Zeit. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt: »Die passive Harmonie der Frau heißt Natur, die bewußte und gewollte des Mannes heißt Kultur.« »Die Kunst ist vomMann für den Mann gemacht.« Die ideologischen Behauptungen aus dem damals populären Buch ›Die Frau und die Kunst‹ (1908) des Kunstkritikers Karl Scheffler stehen ebenso programmatisch für männliche Ignoranz, wie sie damals von Frauen wie der Kunstkritikerin und Frauenrechtlerin Lu Märten in ihrem Buch ›Die Künstlerin‹ (1914/1919) beklagt wurde: »So ist alles geistige und künstlerische Schaffen der Frau schon in seinem Beginnen obdachlos und schutzlos.«5 Spätestens seit 1971, als Linda Nochlin mit ihrem Essay ›Why have there been no great women artists?‹ die feministische Kunstgeschichte einläutete, entstand eine Vielzahl an Monografien zu Künstlerinnen. Doch sie bezeichnen nur die Spitze des Eisbergs einer Künstlerinnengeschichte, die bis heute der Künstlergeschichte nachgeordnet ist. Darüber hinaus wurden in der Forschung Künstlerinnen bislang noch nicht mit der Kultur und Blütezeit der Parvenüs in Verbindung gebracht. Doch gerade für das 18. Jahrhundert, das ja ein Jahrhundert der Schnellaufsteiger:innen war, ist auch eine signifikant wachsende Zahl praktizierender Künstlerinnen statistisch belegt.6 Nicht alle Künstlerinnen der Aufklärungszeit waren Parvenüs, denn nicht alle wirkten als autonome Künstlerinnen mit eigenem Atelier und Geschäft, sondern arbeiteten im Atelier ihrer Väter oder Brüder. Wenn aber eine unverheiratete Künstlerin aus armen Verhältnissen ohne familiäre Künstlertradition stammte, um am Ende als gefeierte Künstlerinnenattraktion an die europäischen Höfe gerufen und mit großzügigen Geschenken überhäuft zu werden, ohne ihr Kerngeschäft in der Heimatstadt zu vergessen, dann handelt es sich um Künstlerinnen-Parvenüs. Das vielleicht beste Beispiel dafür war die venezianische Malerin Rosalba Carriera (1673–1757), die in den zeitgenössischen Quellen »Signora Rosalba« genannt wurde und imFolgenden der Einfachheit halber auch ›Rosalba‹ zu nennen ist. 2 Vgl. hierzu meinen Text ›Imitatio oder innovatio? Eine andere Theorie zur (Lebens-)Kunst der Parvenüs‹ in diesem Band. 3 Roska Parker undGriselda Pollock, OldMistresses. Women, Art and Ideology, London 1981 (Neuauflage 2013). Dagmar Korbacher (Hg.), Muse oder Macherin. Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400–1800, Berlin 2023. 4 Nils Büttner, Künstler und Gesellschaft im Barock, in: Handbuch Rhetorik der Bildenden Künste, hg. von Wolfgang Brassat, Berlin/Boston 2017, S. 417– 434. 5 Zu den Zitaten vgl. Karl Scheffler, Die Frau und die Kunst, Berlin 1908, S. 20 und 29. Lu Märten, Die Künstlerin, Berlin 1919, S. 41. Märten hatte ›Die Künstlerin‹ 1914 verfasst. Das Buch konnte kriegsbedingt erst 1919 erscheinen. 6 Liana de Girolami Cheney, Alixia Craig Faxon und Kathleen Lucy Russo, Self-Portraits byWomen Painters, Washington 2009, S. 98. 7 Zu Leben, Werk und kunsthistorischer Bedeutung der Rosalba Carriera vgl. die rezente und äußerst instruktive Arbeit von Angela Oberer, The life and work of Rosalba Carriera (1673 –1757), The queen of pastel, Amsterdam 2020. 8 Ebd., S. 60. 9 Vgl. meinen Text ›Imitatio oder innovatio? Eine
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