67 Über Rosalbas Ausbildung ist wenig bekannt, doch festzuhalten ist, dass sie in keine Künstlerfamilie hineinwuchs. Ihr Vater war Jurist und dieMutter von einiger musischer Bildung. Sie dürfte das Talent ihrer Tochter früh erkannt und gefördert haben. ImWesentlichen aber dürfte Rosalba Carriera Autodidaktin gewesen sein. Überliefert ist, dass sie in noch jugendlichemAlter international als Meisterin der Pastell- undMiniaturmalerei Ruhm erlangte und die Aufmerksamkeit ihrer späteren Förderer auf sich zog.7 Dazu zählten um 1700 dann der venezianischeMaler AntonMaria Zanetti und der englische Botschafter Christian Cole, dessen Vermittlung beim gefeierten römischen Hofkünstler Carlo Maratta der jungen Frau 1705 als erster Künstlerin die Aufnahme in die Accademia di S. Luca in Rom ermöglichte.8 Durch diesen Karrieresprung und durch die weitere Vermittlungstätigkeit Coles gelangte Rosalba in immer höhere Auftraggeberkreise bis hinein in den Pariser, Dresdner, Wiener und Düsseldorfer Hof. Anfangs halfen ihr die Netzwerke. Bald war ihr Kundenkreis über ganz Europa verteilt, es entstand eine Carriera-Mode, jeder Sammler begehrte ihre Kunst, Italienreisende pilgerten zu ihrem Atelier in Venedig, und Rosalbas erhaltene Briefkorrespondenz gibt Einblick in die intensive Freund- und Kundschaftspflege. Neben ihrer ausgeprägten Sozialkompetenz war es aber auch Rosalbas bildende Kunst und Selbstinszenierung als alleinstehende Künstlerin der Lagunenstadt im Schutze der dissimulatio, der frühneuzeitlichen Kunst der Verstellung, die zu den Kardinaltugenden der Parvenüs zu zählen ist. Die Ursachen für Rosalbas sozialen Schnellaufstieg sind vielfältig und reichen von der allgemeinen (Geschmacks-)Bildung bis zur facettenreichen Selbstinszenierung in Schrift und Bild. Aus ihrer Fülle sind im Folgenden Rosalbas innovative Kunstproduktion und besonnene Dissimulationsstrategie in den Vordergrund zu rücken. Rosalbas innovatio Es ist bezeichnend, dass sich Künstlerinnen häufig in Kunstproduktionsnischen aufhalten mussten, um reüssieren zu können. Im Falle Rosalba Carrieras zählten hierzu die Miniatur- und Pastellmalerei. In beiden Gattungen zeigte Rosalba größte Virtuosität und die Fähigkeit, die Maltechnik ihrer Zeit zu revolutionieren. Als Künstlerinnen-Parvenü huldigte sie nicht demParvenüklischee der imitatio, sondern der innovatio.9 Während an den Kunstakademien vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein das Historienbild als Königsdisziplin galt, verlegte sich Rosalba Carriera auf dieMiniaturmalerei auf kleinen Tabakdosen und Porträtmedaillons, die imReich der Kunsttheorie wenig Achtung genossen und dennoch zu einer tragenden Säule für die Karriere der venezianischen Künstlerin wurden. Die Tradition der Miniaturmalerei, insbesondere der Miniaturporträts, reicht bis in die Zeit desManierismus zurück. Der englische Goldschmied und Maler Nicholas Hilliard (1547–1619) schrieb circa 1600 bereits einen Traktat über die Miniaturmalerei, um sie aus ihrem Schattendasein herauszuholen, und verglich sie mit den Werken Holbeins d.J. und Dürers.10 Zwar genoss die Disziplin an den Kunstakademien weiterhin nur geringes Ansehen, doch außerhalb des akademischen ›Elfenbeinturms‹ erfreute sich das Miniaturbildnis wachsender Beliebtheit, denn zum einen war es im Gegensatz zur großen Tafelmalerei mobil und konnte als ›ambulantes Porträt‹ überallhin mitgenommen werden.11 Zum anderen war es ein intimes andere Theorie zur (Lebens-)Kunst der Parvenüs‹ in diesem Band. 10 Nicholas Hilliard, A Treatise concerning the Arte of limning (ca. 1600). Zur Miniaturmalerei vgl. John Pope-Hennessey, Nicholas Hilliard and Mannerist Art Theory, in: Journal of the Warburg and Courtault Institutes, 6, 1943, S. 89 –100; JimMurrell, The Craft of theMiniaturist, in: The EnglishMiniature, hg. von JohnMurdoch, New Haven 1981, S. 1 –24; Roy Strong, The English Renaissance Miniature, London 1983, S. 67– 69; Susan Stewart, On Longing. Narratives of the Miniature, the Gigantic, the Souvenir, the Collection, Durham/London 1993; Marcia Pointon, »Surrounded with Brilliants«. Miniature Portraits in Eighteenth-Century England, in: The Art Bulletin, 83, 2001, S. 48–71; La miniature en Europe. Des portraits de propagande aux œuvres éléphantesques, hg. von Nathalie Lemoine-Bouchard, Paris 2013; Marianne Koos, Zur Handlungsmacht der Dinge. Das Miniaturenporträt als körpernahes und wandelbares Artefakt, in: Das Porträt als kulturelle Praxis, hg. von Eva Krems und Sigrid Ruby, Berlin 2016, S. 233 –253; Gerrit Walczak, Zurschaustellung und Intimität. Praktiken der Bildnisminiatur, 1750–1840, in: Das
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