Leseprobe

68 Andenken, das seine Besitzer:innen (versteckt) an Halsketten oder Armbändern dicht am Körper tragen konnten. Meistens waren es Liebesgaben an die Verehrte oder den Verehrten, die Phasen der räumlichen Trennung überbrücken halfen und einem Fetisch ähnlich die absente Person präsent machte. Und es waren Gaben der Erinnerung an Treue und Loyalität, die den Gebenden das Gefühl vermitteln konnten, mit den Miniaturen die Beschenkten kontrollieren und disziplinieren zu können. Während wie gesagt die Miniaturmalerei im akademischen Diskurs auf den hintersten Rängen rangierte, legte sie auf dem Kunstmarkt eine große kommerzielle Karriere hin. Befördert wurde sie zum einen durch die magische Wirkkraft, die dem Miniaturbildnis von den damaligen Zeitgenoss:innen attestiert wurde. Zum anderen war es den hohen ästhetischenWerten der Kunst Rosalba Carrieras zu verdanken, dass die Miniaturmalerei von Sammlern zunehmend begehrt wurde.12 Ohnehin war Rosalba in ganz Italien nahezu die einzige Miniaturmalerin von internationalem Format, war doch die Kunstgattung im Land der großen Renaissance- und Barockkünstler zunächst noch vollkommen unbeachtet und unterbewertet, während sich nördlich der Alpen eine Miniaturmode entfaltete, die Rosalba geschickt für sich nutzen konnte. Ihr Alleinstellungsmerkmal fußte auf Material und Stil. Sie malte vornehmlichmitWasserfarben auf Elfenbein imGegensatz zu den bis dahin verbreitenÖltechniken auf Pergament.13 Und Rosalba entwickelte eine neue Porträtästhetik, wie beispielsweise bei ihrem Miniaturbildnis Philip Whartons (1698–1731), das sich in der Royal Collection in Windsor befindet (Abb. 1) und um 1718–1720 entstanden sein dürfte. Es zeugt von einer ausgesprochenen Sprezzatura, die sich nicht nur in der exotisierenden Garderobenwahl mit einer seltsam faltenreichen textilen Kopfbedeckung manifestiert, sondern auch und vor allem in der Körperdynamik: Jede traditionelle Frontalität wird aufgelöst durch die in die Bildtiefe fluchtende Schulterachse und die GegenPorträt als kulturelle Praxis, hg. von Eva Krems und Sigrid Ruby, Berlin 2016, S. 254 –266. 11 ZumBegriff des ›ambulanten Porträts‹ vgl. Pointon (wie Anm. 10), hier S. 48. 12 Pointon (wie Anm. 10), S. 52; Walczak (wie Anm. 10), S. 256. Zu Rosalbas Beitrag in der Gattung des Miniaturporträts vgl. Oberer (wie Anm. 7), S. 39 –52. 13 Zur Mode der Miniaturmalerei nördlich der Alpen vgl. Oberer (wie Anm. 7), S. 47–48. Zur Geschichte ihrer Materialien vgl. Murrell (wie Anm. 10), S. 6 –17. 14 Piero del Negro, Le relazioni di Rosalba Carriera e della sua famiglia con il patriziato veneziano, in: Rosalba Carriera 1673 –1757. Atti del Convegno Internazionale di Studi Abb. 1 Rosalba Carriera, Porträt von Philip Wharton, 1718–1720, Royal Collection, Windsor

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