Leseprobe

197 Gaiwans waren in China seit der Ming-Dynastie (1368–1644) im Einsatz, als man vomAufschäumen zum Aufbrühen des Tees überging.3 Der Tee wurde im Gaiwan aufgegossen, die Teeblätter wurden beimEinschenken in das Trinkgefäßmithilfe des Deckels zurückgehalten. Mantegna hatte sehr wahrscheinlich Zugang zu den chinesischen Porzellanen der Isabella d’Este, der Markgräfin von Mantua. Laut ihrem Inventar von 1540 bis 1542 besaß sie vier vasetti de porcellana, von denen drei aufgrund der Kurzbeschreibung alsModell für Mantegnas Gemälde infrage kämen.4 Eine weitere Quelle könnte die Sammlung seines Patrons Papst Innozenz VIII. gewesen sein, der imBesitz vergleichbarer Objekte war.5 Das dargestellte Gefäß weist eine Dekoration auf, die typisch für die Yongle-Zeit (1403–1424) ist. Es gab im 15. Jahrhundert in Europa nur wenige chinesische Porzellane, die meist als Geschenke in die höfischen Sammlungen kamen.6 Deshalb ist auch ihre Darstellung äußerst selten. Porzellane der Yongle-Zeit haben eine hohe Qualität, da die chinesischen Öfen in dieser Phase der Porzellanproduktion noch keine (Massen-)Waren für den Export nach Europa herstellten. Man kann nur mutmaßen, was es für einen Künstler wie Mantegna bedeutet haben muss, ein solches Gefäß darstellen zu können. Ein weiteres Bildsujet, das im 15. und 16. Jahrhundert gelegentlich mit dem exotischen Material dargestellt wurde, ist die heilige Maria Magdalena. In der um 1525 gemalten Version von Lucas Cranach d.Ä. steht Maria Magdalena in einer idealisierten Landschaft, ihre Entrückung ist am Himmel dargestellt (Abb. 2). Ihr Hauptattribut ist das Salbgefäß, das die Heilige in Form eines sehr wahrscheinlich porzellanenen Deckelgefäßes mit unterglasurblauer Bemalung mit beiden Händen vor ihren Körper hält und es den Betrachtenden geradezu präsentiert.7 Es ist indirekt mit Jesus Christus verbunden, denn Maria Magdalena ist auf demWeg zumGrab dargestellt, das Gefäßmit demSalböl zur Salbung von Jesu Leichnam bereits in den Händen haltend. Sie ist die Erstzeugin der Auferstehung, und als solche begegnet ihr das Publikum bei Lucas Cranach. Weitere Beispiele, die Maria Magdalena mit einem ähnlichen Gefäß zeigen, befinden sich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (1487) sowie imMuseum in Wiesbaden (vor 1525).8 Für das 1514 vollendete ›Festmahl der Götter‹ wählte Giovanni Bellini ebenfalls prächtige chinesische Schalen, die mit feiner Malerei in Unterglasurkobaltblau dekoriert waren (Abb. 3). Das Gemälde gibt eine frühe Darstellung von Porzellan alsWerkstoff für einen luxuriösen Gebrauchsgegenstandwieder, der neben anderen Materialien wie Silber oder Gold eben auch aus Porzellan hergestellt wurde. Die hohe Wertschätzung des Materials während der Renaissance und die Faszination um die exotische Herkunft und den durch Geheimnisse mystifizierten Entstehungsprozess des ›weißen Goldes‹ sind deutlich sichtbar in Szene gesetzt. Das Gemälde wurde sehr wahrscheinlich durch Alfonso I. d’Este, Herzog von Ferrara (1476–1534), in Auftrag gegeben. 1529 wurde es stellenweise durch den BelliniSchüler Tizian übermalt, die chinesischen Gefäße blieben hiervon unberührt. In Europa gab es während der Entstehungszeiten der drei oben genannten Beispiele nur vereinzelt chinesische Porzellane in den herrschaftlichen Sammlungen. Umso größer war der Spielraum für eine Mystifizierung der chinesischenWaren, die zum Inbegriff des Luxus wurden und auf religiösen sowie mythologischen Darstellungen von der Besonderheit der Abgebildeten kündeten. Porzellanobjekte waren ebenso rar wie begehrt. DasWissen über das Herkunftsland des Porzellans war im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit durch Reiseberichte geprägt, die nur ein lückenhaftes Bild Siehe: Hannah Baader, Universen der Kunst, künstliche Paradiese der Universalität. Florenz, seine Sammlungen undGlobal Art History I, in: kritische berichte, Bd. 40, Nr. 2 (2012), S. 49 –50. 7 Für einen weiterführenden Hinweis zu den Darstellungsweisen des Salbgefäßes siehe auch: Lexikon der Christlichen Ikonographie, hg. von Wolfgang Braunfels, Bd.7, Freiburg im Breisgau 1974, S. 522. 8 Meister des Augustiner-Altars (Hans Traut) und Werkstatt mit Rueland Frueauf d.Ä., Innenseite: Hl. Magdalena und hl. Agatha; Außenseite: Martyrium der hl. Ursula, 1487, URL: https://tafelmalerei.gnm.de/wisski/navigate/103/view; Lucas Cranach d.Ä., ›Maria Magdalena‹, vor 1525, MuseumWiesbaden, Inv.-Nr. M28, URL: https://www.akg-images.de/archive/Maria-Magdalena-2UMDHULF108Y.html [Zugriffe: 8.8.2022].

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