Leseprobe

7 die Sammlungserschließung Hetjens – Deutsches Keramikmuseum Düsseldorf (Leitung: Daniela Antonin, Bearbeitung: Christina Kallieris). Alle Teilprojekte gehen von der gemeinsamen Annahme aus, dass die materielle Kultur des 18. Jahrhunderts in europäischen Gesellschaften ein wichtiges Vehikel für Karrierestrategien war und die gesteigerte soziale Mobilität entscheidend und proaktiv unterstützte (»agency«). Parvenüs und ihre Objektkultur Parvenüs des 18. Jahrhunderts sind eine besonders geeignete gesellschaftliche Gruppe für die Untersuchung, da sie vor allem auf den Einsatz materieller Kultur angewiesen waren, um ihren schnellen Aufstieg in den kompetitiven Gesellschaften der Frühen Neuzeit erreichen zu können. Neben einer passenden Repräsentation durch Kunst und Kunsthandwerk war es ihre zentrale Herausforderung, den Einsatz der Artefakte für den Aufstieg in die Zielgesellschaft zwischen Anpassung undDistinktion besonnen zu moderieren. Als bislang wenig beachtete Instrumente der vertikalen sozialen Mobilität spielen Objekte und deren identitätsstiftende und selbstvergewissernde Bedeutungszuschreibungen damit eine prominente Rolle. Dabei ist zu beachten, dass die verbreitet negative Konnotation des Parvenübegriffs zu neutralisieren ist. Denn während Parvenüs – dies ist weiter unten noch genauer auszuführen1 – seit der Aufklärungszeit als »Schmarotzer«, »Nachahmer« oder »Parasiten« (Friedrich Schiller) angesehen werden, sind nun die Vorzeichen umzudrehen. Neben den ›parasitären‹ Exemplaren hat uns die Geschichte auch und vor allembesonders leistungsfähige und innovationshungrige Beispiele geliefert, die im Fokus der folgenden Untersuchungen stehen. Ohnehin geht es hier nicht um eine moralisierende Geschichtsschreibung. Doch weil sie bislang in Bezug auf Parvenüs moralisierend war, ist nun zu betonen, dass ein anderer Weg einzuschlagen ist, auf dem sich die gesellschaftlichen Schnellaufsteiger:innen als Motoren der (Kultur-)Geschichte offenbaren. Während unserer Forschungen stellte sich zunehmend heraus, dass das Klischee vom Parasiten unhistorisch ist. Denn Parvenüs mussten, um in höhere Gesellschaftsschichten aufsteigen zu können, nicht nur anpassungsfähig sein. Unterschätzt wurde bislang, dass Parvenüs für ihre gesellschaftliche Anerkennung Herausragendes zu leisten hatten. Es herrschten bisweilen meritokratische Verhältnisse. Mehr als den bereits Etablierten oblag ihnen, mit Erfindungen, Innovationen und besonderen Erfolgen aufzufallen – Anpassung und Parasitentum reichten längst nicht aus. Dazu war die Konkurrenz in einer zunehmend durchlässigen und kompetitiven Gesellschaft der Aufklärungszeit zu groß. Solche Schnellaufstiege – metaphorisch gesprochen – vom ›Tellerwäscher zumMillionär‹ stellten an die Akteur:innen unterschiedliche Herausforderungen, die vom Herkunftsmilieu ebenso abhingen wie etwa von Protektor:innen, die auf demKarriereweg sekundierten. Fundamental war die Allgemeinbildung der Aufsteiger:innen, zu der Sprach- und Sittenbildung ebenso zählten wie eine trittsichere Geschmacksbildung, die gerade in der Aufklärungszeit immer wichtiger wurde, nicht zuletzt, um den sichtbaren und ausgewogenen Einsatz vonmaterieller Kultur zu beherrschen. In den hier vorliegenden Aufsätzen, die Schlaglichter auf die Ergebnisse aus den Teilprojekten werfen, wird darauf stets eingegangen. Zu den Parvenüs zählten Protagonist:innen aus den unterschiedlichsten Herkunftsgesellschaften, die ebenso unterschiedliche Zielgesellschaften anvisierten. Im Kirchenstaat ereigneten sich wegen seiner politischen Verfasstheit alsWahlmonarchie schon seit demMittelalter spektakuläre Karrieren, von denen jene Alessandro Peretti Montaltos wohl die schillerndste ist, der es vom Schweinehirten bis auf den Papstthron (1585–1590) schaffte. Im weltlichen Bereich häuften sich Blitzkarrieren mit der zunehmenden Durchlässigkeit der Gesellschaft in der Zeit der Aufklärung. Sie fanden in den verschiedensten beruflichen Bereichen statt, dazu zählten Laufbahnen in der Politik und Verwaltung 1 Vgl. Philipp Zitzlspergers Text ›Eine kleine (Begriffs-)Geschichte des Parvenüs‹ in diesem Band.

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