Leseprobe

9 seiner Sichtbarkeit anhand der Summe der unterschiedlichen im Projektverbund untersuchten Objekte ein dichtes Bild der repräsentativen und prestigeträchtigen Objektkultur des 18. Jahrhunderts, diemit allgemeineren Erkenntnissen etwa zu der jeweiligen gesellschaftlichen Konvention über Mode, Geschmack und repräsentativen Besitz abgeglichen werden. Mit einemGegenstand durch die Konsumkultur erzeugte Bedürfnisse zu verknüpfen, bedarf weiterführender Informationen. Die Bewertung, die sich aus der Nachfrage und der Verfügbarkeit auf dem Markt ergibt, ist amObjekt selbst nicht abzulesen. Arjun Appadurai beschrieb als einer der ersten die konsumhistorische Bedeutung desWarentauschs für denWert von Objekten: »Economic exchange creates value«.4 Imgleichen Band ging Igor Kopytoff noch stärker auf die damit verbundene kulturelle Komponente ein.5 Vielfältige weitere Bedeutungsaufladungen und -zuschreibungen, die sich durch Besitzerwechsel, die Verbringung in andere Kulturkreise und andere Verwendungskontexte sowie zeitliche Veränderungen ergeben, sind in den vergangenen Jahren in zahlreichen Fallstudien analysiert worden.6 Die Annahme, dass sich Biografien von Objekten wie die von Menschen nachzeichnen lassen und damit Aufschluss über die eigene Bedeutung geben, ist mittlerweile überholt. Neue Ansätze, etwa der object itineraries von Hans Peter Hahn und Hadas Weiß,7 gehen von verschiedenen Stationen über die Dauer der Existenz eines Objekts aus, diemit unterschiedlichen Ereignissen, Verwendungen und Bedeutungszuschreibungen verknüpft werden können. Dies erfordert jedoch die diachrone Betrachtung von Objektgeschichten. Im PARVENUE-Projekt handelt es sich meist um Momentaufnahmen, diemit Herstellung oder Erwerb, seltener mit demBesitz über einen längeren Zeitraumoder einer Wiederverwendung von Objekten zu tun haben. Ausnahmen bilden hier beispielsweise die von Heinrich Carl von Schimmelmann (1724–1782) massiv und teilweise mehrfach umgebauten Herrenhäuser (Teilprojekt 1) sowie Kinderkleidung aus demBesitz der mennonitischen Seidenverlegerfamilie de Greiff (Teilprojekt 4).8 Auch fehlen zu den meisten untersuchten musealen Objekten direkte Informationen über die Gebrauchsdimension, etwa die korrekte Handhabung, die nur aus zeitgenössischen Veröffentlichungen wie dem ›Journal des Luxus und der Moden‹ rekonstruiert werden können.9 Diese praxeologischen Aspekte waren lange ein blinder Fleck in der Erforschung materieller Kultur.10 Sie wurden auch von der Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours übersehen, die Objekten wie Personen ja eine agency, ein Handlungspotenzial, zuschreibt.11 Die Theorie der Objektforschung ist stark durch die Soziologie geprägt und bezieht sich daher oft auf Dinge der Gegenwart, nicht auf historische. Auch dieser ausschließlich moderne Blick ohne ausgeprägte historische Perspektive lässt zeitbedingte Veränderungen von Objekten, ihrem Gebrauch und ihren Bedeutungen außer Acht. 5 Igor Kopytoff, The cultural biography of things: commoditization as process, in: Appadurai (wie Anm. 4), S. 64 –91. 6 Z.B. Transottoman matters. Objects Moving through Time, Space, and Meaning (Transottomanica 4), hg. von Arkadiusz Christoph Blaszczyk, Robert Born und Florian Riedler, Göttingen 2021; Cotton in context. Manufacturing, Marketing, and Consuming Textiles in the German-speakingWorld (1500–1900) (Ding, Materialität, Geschichte 4), hg. von KimSiebenhüner, John Jordan undGabi Schopf, Köln/Wien/Weimar 2019. 7 Hans Peter Hahn und Hadas Weiß, Introduction. Biographies, travels and itineraries of things, in: Mobility, Meaning & Transformations of Things. Shifting contexts of material culture through time and space, hg. von dens., Oxford 2013, S. 1 –14. 8 Vgl. Isa Fleischmann-Heck, Seidene Säuglingskleidung des 18. Jahrhunderts. Neue Überlegungen zu ihrer Verwendung und Funktion, in: Das Bild vomKind imSpiegel seiner Kleidung. Von prähistorischer Zeit bis zur Gegenwart, hg. von Annette Paetz gen. Schieck und Uta-Christiane Bergemann, Regensburg 2015, S. 120–135. 9 Siehe auch Gianenrico Bernasconi, Objets portatifs au Siècle des lumières, Paris 2015. 10 Vgl. u.a. Andreas Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken/ Basic Elements of a Theory of Social Practices, in: Zeitschrift für Soziologie 32, 2003, S. 282–301. 11 Bruno Latour, On ActorNetwork-Theory. A FewClarifications, in: SozialeWelt 47, 1996, S. 369 –381. Siehe dazu auch Julia Trinkerts Text ›Der Gebrauch von und Umgang mit Kunstobjekten in sozialen Aufstiegsprozessen. Skizzierungen zu einem Deutungsschema‹ in diesem Band.

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