Leseprobe

 19 19 Militär, während der es 1918 auch zu einem Aufstand gegen die Deutschen kam, Bescheid wusste: »Machen Sie sich doch nichts vor! Das sind deutsche Aufklärungsflugzeuge, die uns ausspionieren und von da oben Luftaufnahmen von unseren Straßen und Brücken machen!« Die anderen erwiderten darauf: »Das ist doch Blödsinn!«, und die allgemeine Einschätzung war, dass bei einem tatsächlichen Kriegsausbruch die Deutschen von uns eine solche Tracht Prügel bekommen würden, dass sie sie niemals wieder vergessen würden. Die Mobilisierung war in vollem Gang. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt wurde am 23. August unterzeichnet, unter allgemeinem Unbehagen. Im Radio und in den Printmedien war man jedoch verhalten optimistisch. Meine Mutter meinte dazu immer wieder: »Wir schießen auch nicht mit Erbsen!« Es war das »wir« in ihrer Aussage, das mir Aufschluss über die Art von Verbundenheit gab, die sie als in Deutschland Geborene und Aufgewachsene nun zu unserem Land hatte, ein Land, das sie jetzt als das ihre betrachtete. Mein Vater war, glaube ich, nicht ganz so optimistisch was den Ausgang eines Krieges betraf. Gegen Ende August kehrten wir nach Poznań zurück. Die Anspannung war unerträglich geworden. Die LOPP (Der Bund zum Schutz vor Kriegsführung aus der Luft und mittels Giftgas) verteilte Gasmasken. Militärbarracken standen leer, die Truppen waren zu ihren Stellungen beordert worden. Ominöserweise wurde am 29. August angeordnet, dass alle Schulen, die üblicherweise am 3. September ihre Tore öffneten, für unbestimmte Zeit weiter geschlossen blieben. Zusätzlich zu dieser Ankündigung versicherten die Tageszeitungen den Bürgern auf entschiedene Art, dass sie sich der Standfestigkeit unseres Land gegen jedweden Feind sicher sein könnten. Wenn ich zurückdenke, habe ich noch immer den begeisterten Slogan der Regierung im Ohr: »SILNI! ZWARCI! GOTOWI!« – ein klares Bekenntnis dazu, dass wir »STARK! VEREINT! BEREIT!« waren. Nach unserer Niederlage wurde dieser Slogan zu einem typisch polnischen, höhnischen Urteil über die tragische Vergangenheit. Wir gingen also nicht zur Schule und spielten einen Tag lang oder so Fußball, glücklich aus Unwissenheit, was uns in der unmittelbaren Zukunft erwartete.

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