153 153 für ihr Schicksal. Ich befand mich selbst in einem Dilemma, das mich fortwährend zwang, meine aufrichtige Freundschaft mit dieser Familie – ganz besonders mit Franziska – gegen die Pflicht aufzuwiegen, die ich mir vor ein paar Jahren auferlegt und auf die ich einen Eid geleistet hatte. Überflüssig zu sagen, dass es ein beinahe permanenter Balanceakt war, der einem die Seele zerriss. Die Erinnerung daran quält mich über ein halbes Jahrhundert später noch immer. Am 14. Januar stieg ich zusammen mit 39 anderen männlichen Zivilisten in einen aus Güterwaggons bestehenden Zug Richtung Osten. Dieser umfasste auch einige Flachwaggons mit Panzern und gepanzerten Personentransportern. Alle Güterwaggons bis auf zwei waren bereits mit Truppensoldaten besetzt, und wir zivile Rekruten wurden in die zwei verbliebenen gepfercht. Niemand wusste etwas über unseren endgültigen Bestimmungsort, und unsere Aufpasser, zwei niederrangige Nazis in Parteiuniform, die Seitenwaffen trugen, hielten den Mund. Mit 20 Passagieren und Gepäck je Waggon war nicht viel Platz. Ein spontanes System wurde eingeführt, nach dem einige von uns standen und andere auf ihren Koffern oder Bündeln saßen und man in stündlichen Intervallen die Plätze tauschte. Da es nur einen einzigen Eimer gab, der den Bedürfnissen so vieler Passagiere zu Diensten sein sollte, kamen Spekulationen auf, dass es sich wohl nur um eine kurze Fahrt handeln könne, und seltsamerweise erwies sich dieser in schwarzen Humor verpackte Witz sogar als zutreffende Vorhersage. Unsere Reise dauerte keine fünf Stunden. Der Zug hielt an einem kleinen Bahnhof beinahe im Nirgendwo und lud uns dort ab, um seine Fahrt in östliche Richtung fortzusetzen. Als wir Dresden verließen, hatte in der Stadt nur eine geringe Menge Schnee gelegen, die Temperatur lag über Null. Nun, nur wenige Stunden später, fanden wir uns unter einem bleifarbenen Himmel im tiefsten Schnee wieder und versuchten vergebens, uns gegen den eisigen Wind zu schützen, der aus scheinbar allen Richtungen gleichzeitig blies. Selbst die beiden Nazifunktionäre schienen verblüfft von all dem. Doch dann befahl der eine von den beiden, der einen etwas höheren Dienstgrad hatte und etwas wichtiger und besser informiert zu sein schien, der Gruppe, ihm entlang einer Straße oder etwas in der Art zu folgen. Es waren nur zwei Kilometer zu unserem endgültigen Ziel, doch da wir durch fast kniehohen Schnee stapften und dabei unser Gepäck trugen, kam uns die Strecke doppelt so weit vor.
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