Leseprobe

 15 15 ich mit acht Schloss Schönbrunn in der Nähe von Wien besichtigte und wie ich mich vom gespenstischen Inneren der enormen Burgruinen hoch oben auf der Donauebene über Bratislava einschüchtern ließ. Ungefähr im Alter von zehn Jahren war mir bewusst, dass mein Leben einen vorbestimmten Lauf nehmen würde, der sich an den allgemeinen Gebräuchen und an der Familientradition ausrichtete. Nachdem ich die Oberschule abgeschlossen hatte, würde ich eine sehr strenge Abschlussprüfung namens Matura ablegen, schriebe mich an der Kadettenschule ein und stiege von dort weiter zur Offiziersschule auf, wo ich mich entscheiden könnte, welcher Dienstzweig mir am meisten zusagte (zumindest wurde uns das so vermittelt). Nachdem ich den Junior-Rang eines Unterleutnants erreicht hatte, würde ich ins zivile Leben zurück entlassen, jedoch natürlich als Reservist. Mit diesem Status wäre es mir möglich, mich an der Universität einzuschreiben, ummein Lieblingsfach Geschichte zu studieren, nicht, ohne dabei an eine zukünftige akademische Karriere zu denken. Natürlich ist nichts davon eingetreten. Ich war noch ein Teenager, als mir ein Klassenkamerad, ein Junge namens Henryk Komorowski (oder hieß er doch Komierowski?) von einer politisch aktiven Jugendgruppe erzählte, der er angehörte, und mich fragte, ob ich nicht mal zu einem der Treffen mitkommen wolle – nicht direkt, umMitglied zu werden, sondern einfach nur so, um die Diskussion zu verfolgen. Zu der Zeit hatte ich durch Radiohören und Zeitunglesen bereits angefangen, mich sehr für Politik zu interessieren. Ich hatte die italienische Invasion in Äthiopien mitverfolgt sowie den mörderischen spanischen Bürgerkrieg, und die Gefahr, die von Hitlers Deutschland für Polen ausging, war mir äußerst bewusst. Auch die Innenpolitik meines Landes übte einen gewissen Reiz auf mich aus. An einem Tag im Mai 1938 trafen Henryk und ich uns in einem kleinen Raum im Keller eines großen Wohngebäudes in der Łąkowa Straße in einem der ärmeren Mittelschichtsbezirke von Poznań. Der Raumwar voll, obwohl wir nur zu sechst waren. Der Gastgeber war ein junger Mann namens Zenek, ein Student am Polytechnikum, der auch der Anführer und Sprecher der Gruppe war. Ich wurde vorgestellt und schüttelte jedem die Hand. Dann setzte ich mich in eine Ecke und verfolgte das Geschehen. Es war alles recht simpel. Zenek sprach von der Innenpolitik und wie sich diese auf Polens Ansehen auf der internationalen Bühne auswirke. Ich kann natürlich nicht wortwörtlich alles

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