30 Die Kunstsammlungen Chemnitz können als eine bürgerschaftliche Gründung auf einen reichen Bestand grafischer Arbeiten des 19.Jahrhunderts verweisen.Das Verhältnis zur Natur prägte seit der Romantik in besonderer Weise das Denken und die Empfindungen des modernen Menschen, zumal in einer Stadt, die für den Aufbruch in das industrielle Zeitalter stand. Ganz pragmatisch aber spricht auch die Nähe zu Dresden für die Vielzahl von Landschaftszeichnungen im Besitz privater Sammler. Die Kunstmetropole an der Elbe zog wie keine andere Stadt seit dem späten 18.Jahrhundert immer wieder berühmte Landschaftsmaler an, und junge Talente reiften dort zu bedeutenden Zeichenkünstlern. Wenn in Chemnitz bevorzugt Werke aus Dresden zu bewundern waren, zeugt dies für eine hohe Wertschätzung lokaler, aber keineswegs provinzieller Kunst. Der Blick auf die hier ausgestellten Arbeiten soll in chronologischer Folge die engen Verbindungen der sächsischen Malerei mit den europäischen Kunstzentren sichtbar werden lassen. Neue Horizonte Am Sonntag,den 18.Dezember 1768, traf der junge Jakob Philipp Hackert in Begleitung seines Bruders aus Frankreich kommend in Rom ein. Wenige Tage vor Weihnachten bezogen beide Quartier an der Piazza di Spagna, ein auch damals schon bei deutschen Künstlern beliebter Treffpunkt im Zentrum der Stadt. Noch nahm kaum jemand Notiz von den beiden Landschaftsmalern aus Prenzlau, aber schon bald sollte Jakob Philipp zu den bekanntesten Künstlern seiner Zeit gehören, dessen idealisierte Ansichten aus Italien in ganz Europa ihre Liebhaber fanden.Die ersten Monate in Rom zehrte er allerdings noch von den Unterweisungen bei seinem Lehrer Johann Georg Wille in Paris. Größer konnten für Hackert die Gegensätze in der Auffassung von Landschaftsmalerei aus den vergangenen Jahren und den vor ihm liegenden goldenen Zeiten kaum sein.Wille forderte von seinen Schülern eine genaue Wiedergabe des Sujets, ohne dass der Künstler in die von der Natur vorgegebene Ordnung der Dinge einzugreifen hatte.Die Motive sollten ganz dem einfachen ländlichen Milieu entliehen sein. Vorbilder fand Wille in der niederländischen Kunst des 17. und 18.Jahrhunderts (Abb.1). Die nordische Landschaft mit ihrem tiefen Horizont, den vom Wind gebeugten Bäumen und dem wolkenverhangenen Himmel bot ihm und seinem Schülerkreis eine überreiche Fülle an Studienmaterial. Überraschend schnell eignete sich Hackert jedoch in Italien neue Bildkonzepte an.Bereits um 1770 konnte er mit den idealisierten Landschaften aus Rom und seiner Umgebung prominente Kunsthändler, Archäologen und zahlungskräftige Reisende des europäischen Adels auf ihrer Grand Tour für sich gewinnen. Zielsicher traf er mit seinen Bildern die Erwartungen seiner Zeitgenossen an ein Italien,dessen landschaftliche Schönheiten und Erinnerungen an die Antike erfüllt und wachgehalten wurden (Abb.2). »Viele Landschaften machen uns ein außerordentlich Vergnügen,wenn sie uns Gegenden vorstellen,wo große Thaten geschehen sind, als Schlachten und andere große Begebenheiten der Geschichte. Wenn Reisende solche Gegenden gesehen haben, und finden sie nun mit Treue und angenehmer Wahrheit im Gemälde vorgestellt, so erweckt es ihnen eine ganze Reihe historischer und anderer bedeutender Vorstellungen.«1 Die arkadischen Szenerien aus Italien hatten nun nichts mehr mit der rauen Natur gemein, die Hackert noch wenige Jahre zuvor als Schüler Willes in Frankreich zeichnete. 1 Jakob Philipp Hackert, »Über Landschaftsmalerei«, in: Goethes Werke,Weimarer Ausgabe, Abt. I, Bd.46, Weimar: Böhlau 1891, S.377.
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