Leseprobe

35 vom Künstler im Detail studiert und auf den gewünschten Effekt kalkuliert.Der wohl einflussreichste Kunsttheoretiker im Frankreich des 18.Jahrhunderts,Denis Diderot, forderte die perfekte Illusion jener anti-klassischen Bilderwelt: »Der Ausdruck wird in wunderbarer Weise durch kleines Beiwerk verstärkt, das auch der Harmonie zugute kommt. Wenn Sie mir eine armselige Hütte malen und vor ihren Eingang einen Baum setzen wollen, so wünsche ich, daß dieser Baum alt, morsch, geborsten, hinfällig sei; daß eine gewisse Übereinstimmung an Zufälligkeiten, an Unglück und Elend zwischen ihm und dem Unglücklichen bestehe, dem er an Feiertagen seinen Schatten spendet.«3 Auch – oder gerade – jenen Malern,die sich dem einfachen, scheinbar spontan aufs Blatt gebrachten Sujet verschrieben hatten,ging es nicht selten um eine intensive Auseinandersetzung mit den kunsttheoretischen Grundlagen ihrer Bildschöpfungen. Dies gilt in besonderem Maße für Johann Georg Wille. Er war zahlreichen bedeutenden Künstlern freundschaftlich verbunden und verfügte über eine breite Kenntnis älterer und zeitgenössischer Kunstliteratur.4 Paris bildete im 18.Jahrhundert das unbestrittene Zentrum des Kunstgeschehens, das seine Strahlkraft auf viele europäische Höfe und Akademien entfaltete. Deshalb konnte auch Wille seinen nicht geringen Einfluss auf den Kunstbetrieb in Deutschland geltend machen. Begabten Schülern vermittelte er Kontakte zu namhaften Künstlern in Italien, Frankreich und Österreich. So empfahl er die jungen Künstler Franz Edmund Weirotter und Friedrich Reclam an Winckelmann und Mengs in Rom, Georg Melchior Kraus nach Frankfurt und Weimar oder Sigmund Freudenberger in die Schweiz. Andere Zeichner aus seinem Kreis,wie Ferdinand Kobell und Carl WilhelmWeisbrod, kehrten mit guten Aussichten auf eine Anstellung als Künstler nach Deutschland zurück (Abb.4,Kat.10).Eine herausragende Rolle spielte Wille für den Kunstbetrieb in Sachsen.Seit 1756 pflegte er regelmäßigen Briefkontakt mit Christian Ludwig von Hagedorn, der 1763 zum Generaldirektor der sächsischen Kunstsammlungen und der Kunstakademie in Dresden berufen worden war. Der Kunstgelehrte aus Hamburg stand schon seit geraumer Zeit als Diplomat in sächsischen Diensten. Mit der Übernahme seines Amtes begann für die Kunstakademie eine neue Ära. Es gelang ihm nicht nur, den Porträtmaler Anton Graff zu bewegen, 1766 als Hofmaler und Mitglied der Akademie nach Dresden zu kommen, von Hagedorn erhob auch die Landschaftskunst in den Rang eines akademischen Ausbildungsfachs. Aus Paris erhielt er entsprechende Hinweise zur Organisation und Struktur des dortigen Zeichenunterrichts. Wille war es auch, der Hagedorn für die Neubesetzung von Stellen an der Akademie seine eigenen Schüler vorschlug.5 Als prominenteste Künstler folgten 1766 der Schweizer Maler Adrian Zingg und 1774 der aus Sachsen stammende Johann Eleazar Schenau dem Ruf an die Dresdener Akademie.Beide waren mit dem Landschaftskonzept des Hollandismus Willes vertraut. Zingg berichtete am 11. August 1766 seinem ehemaligen Lehrer nach Paris von seinen ersten Eindrücken aus Dresden: »Herr Dietrich [d.i. Christian Wilhelm Ernst Dietricy] war 8 Tage vor meiner Ankunft auf seinen Weinberg gereiset. Ich habe vor, dieser Tage zu ihm hinauß zu reitten, auf daß ich auch die Gegenden besehen kan, und ob etwas zum Zeichnen vorhanden seyn möchte; nahe um die Statt herum finde ich wenig Vortheilhaftes. Ich gedencke etwan in 14 Tagen gegen Königsstein zu Reisen und mir ein kleinen Vorrath auf den Winther zu machen. Vor das Auge sind sehr angenehme Gegenden und sehr fruchtbahr ist das gantze Lande, man kan sagen, daß gantze Land ist gutt und wunderschön, nur die Stätte werden den letzten Krieg am längsten empfinden.«6 Schon bald gehörte Zingg zu den bedeutendsten Künstlern im Dresden des ausgehenden 18.Jahrhunderts (Abb.5). Die Wertschätzung verdankte er seiner Neuinterpretation der Landschaftsvedute. Auf ausgedehnten Wanderungen durch 3 Denis Diderot, »Versuch über die Malerei (1765)«, in: Ästhetische Schriften, hrsg. v. Friedrich Bassenge. Bd.1, Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt 1968, S.668. 4 Dazu gehörten u.a. die Schriften von Denis Diderot, Johann Heinrich Füssli, Christian Ludwig von Hagedorn, Antony Ashley-Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury, Johann Georg Sulzer oder auch von Johann Joachim Winckelmann, um nur eine kleine Auswahl zu nennen; zu Wille s. Hein-Th. Schulze Altcappenberg, »Le Voltaire de l’art« Johann Georg Wille (1715–1808) und seine Schule in Paris, Münster: LIT-Verlag 1987. 5 Altcappenberg 1987 (wie Anm.4), S.74–76. 6 Zit. n. ebd., S.360; zu Zingg s. auch Petra Kuhlmann-Hodick, Claudia Schnitzer, Bernhard von Waldkirch (Hrsg.), Adrian Zingg.Wegbereiter der Romantik, Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-­ Kabinett, Dresden: Sandstein Verlag 2012.

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