Leseprobe

181 Der berühmte Architekt und Kunsttheoretiker Gottfried Semper, der in den Jahren 1827/1828 in Paris bei Franz Gau Architektur studiert hatte, unternahm von 1830 bis 1834 eine ausgedehnte Bildungsreise durch Italien und Griechenland. Finanzielle Unterstützung erhielt er dabei von seiner wohlhabenden Unternehmerfamilie aus Altona bei Hamburg. »Ich, um einen nothwendigen Teil meiner Ausbildung zu erwerben, muß nach Italien und mein Alter duldet keinen Aufschub«,1 schrieb Semper im Sommer 1830 an seinen Vater, wie ein Brief aus dem Semper-Nachlass in der ETH Zürich belegt. Sein besonderes Interesse auf dieser Reise galt den Bauwerken der Antike und der Renaissance. Dabei begnügte sich der angehende Architekt und spätere Akademieprofessor nicht nur mit Besichtigungen historischer Baudenkmäler. Gemeinsam mit anderen Architekten und Forschern, unter anderem Jules Goury und Eduard Metzger, nahm er an archäologischen Ausgrabungen teil und beschäftigte sich intensiv mit Untersuchungen zur Polychromie antiker Bauten. Vom 30. November 1830 bis zum 18. Februar 1831 weilte Semper in Rom. Hier konnte er bedeutendste Bauwerke der römischen Antike sowie der Renaissance studieren und vergleichen. Die mit Feder und Pinsel in Sepia und Tusche sorgfältig ausgeführte Zeichnung Janusbogen in Rom entstand vermutlich in jener Zeit. Der Betrachter blickt durch das antike Bauwerk auf den Eingangsbereich der Kirche San Giorgio in Velabro. Der Torbogen wird dabei zum Rahmen für den gewählten Bildausschnitt. Im Hintergrund sind weitere antike Ruinen zu erkennen. Trotz der Konzentration auf die Architektur, die präzise Zeichnung der Kirchenumrisse, die scheinbar mit Lineal unterzeichnet sind, wird die Stadtansicht durch Personen ergänzt und durch Vegetation in einer künstlerisch-malerischen Weise geschildert. Nach dem Aufenthalt in der Ewigen Stadt reiste Semper nach Neapel, wo er sich bei den Ausgrabungen von Pompeji intensiv mit den erhaltenen Wandmalereien beschäftigte. Bei diesen Untersuchungen gelangte er zu der Überzeugung, dass die antike Architektur allgemein farbig gefasst war. »Die Studienreise durch Italien, Sizilien und Griechenland war für Sempers Entwicklungen als Theoretiker und Künstler von entscheidender Bedeutung. Nach der Lehrzeit bei Gau legte sie den fundamentalen Grundstock für sein gesamtes späteres Schaffen«.2 Die Begeisterung für Rom hielt zeitlebens. Noch im (hohen) Alter reiste der inzwischen äußerst erfolgreiche Architekt, der große öffentliche Bauaufträge in Dresden, Wien und Zürich umgesetzt hatte, in die Ewige Stadt. An jenem Ort der ihn geprägt und inspiriert hatte, verstarb er am 15. Mai 1879. Beigesetzt wurde er auf dem berühmten protestantischen Friedhof an der Cestius Pyramide, wo viele Persönlichkeiten der deutschen Künstlerschaft ihre letzte Ruhe fanden. CMM 1 Zit. n. Gisela Moeller, »›Grau teurer Freund ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum‹. Sempers Studienreise durch Italien, Sizilien und Griechenland. 1830–1834«, in: Gottfried Semper. 1803–1879. Architektur und Wissenschaft, hrsg. v. Winfried Nerdinger, Werner Oechslin, Zürich: gta-Verlag 2003, S.105–108, S.105. 2 Ebd., S.108.

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