Leseprobe

13 1909 fanden die Kunsthütte samt ihrer Sammlung zusammen mit weiteren Vereinen im König-Albert-Museum ein neues Zuhause. In Anwesenheit des sächsischen Königs Friedrich August III. wurde das mit städtischen Mitteln nach Plänen des Stadtbaurats Richard Möbius (1892–1952) gebaute Ensemble Museum und Theater am ehemaligen Neustädter Mark feierlich eröffnet. Eine Zäsur für die Sammlungsgeschichte bildete imMärz 1911 die Wahl Friedrich Schreibers zum Ausstellungsleiter der Kunsthütte. Schreiber – erst 1918 nahm er den Doppelnamen Schreiber-Weigand an,um den mütterlichen Familiennamen,der sonst erloschen wäre,zu erhalten – war 1879 in Chemnitz geboren worden, stammte aus einer musischen Familie und arbeitete als Lehrer. Das Amt des Ausstellungsleiters übte er nebenberuflich aus. Er entwickelte ein vorwärtsweisendes Ausstellungs- und Sammlungskonzept. Unter seinem Einfluss öffnete sich die Sammlung für zeitgenössische moderne Strömungen der Kunst.6 Wichtige Erfahrungen und Impulse zu Beginn seiner Museumslaufbahn verdankte er der IV.Graphischen Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes, die auf Initiative des Chemnitzer Unternehmers Hans Vogel (1867–1941) 1912 in Chemnitz stattfand.7 Der deutsche Künstlerbund, 1903 auf Anregung des Kunstförderers Harry Graf Kessler von Lovis Corinth, Max Klinger, Alfred Lichtwark und Max Liebermann gegründet,bündelte verschiedene zeitgenössische Strömungen der Kunst und war einst gegen eine Bevormundung durch die offizielle Kunstpolitik im Kaiserreich und für die Freiheit der Kunst angetreten. Zusammen mit Graf Leopold von Kalckreuth und Max Klinger hatten auf der Seite der Kunsthütte Friedrich Schreiber und Hans Vogel die künstlerische Leitung der Ausstellung inne. Das überregionale Ausstellungsprojekt,mit dem Chemnitz erstmals in den Blickpunkt eines öffentlichen nationalen Kunstpublikums geriet, ermöglichte Schreiber-Weigand wichtige Kontakte zu führenden deutschen Künstlern und erweiterte seinen künstlerischen Horizont ungemein. In der Stadt förderte die Schau wesentlich das Interesse an der Gattung Grafik und gab der Sammeltätigkeit einen besonderen Auftrieb. Für die Kunsthütte wurden 15 Druckgrafiken, für die Städtische Sammlung 35 Druckgrafiken und sieben Zeichnungen angekauft. Darunter waren Werke der Impressionisten Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt, Blätter von Leopold von Kalckreuth, dem parallel in Chemnitz eine Sonderausstellung gewidmet war, sowie Werke einer jüngeren Generation wie Hans Meid, Max Beckmann oder Wilhelm Lehmbruck. Ausgewählt wurden aber auch Arbeiten von Mitgliedern der Künstlergruppe Chemnitz. Die Kunsthütte begann von diesem Zeitpunkt an, ihre grafischen Werke genau zu katalogisieren und die Blätter in Passepartouts zu montieren.8 Vermutlich wurden in diesem Zusammenhang auch die Inventarbücher angelegt. Dass der Ausbau der städtischen grafischen Sammlung und die Schaffung eines eigenen Studiensaals für Grafik mit angeschlossener Handbibliothek dem engagierten Ausstellungsleiter Friedrich Schreiber schon sehr früh ein essenzielles Anliegen waren, beweist ein solches Konzept, das er im Oktober 1913 dem städtischen Ausschuss für das König-Albert-Museum vorstellte, um damit ganz konkret für die Bereitstellung finanzieller Mittel zu werben.9 Schlüssig setzte er sich dafür ein, vor allem Kunst der Gegenwart zu erwerben und aus Kostengründen die Druckgrafik gegenüber der Zeichnung zu favorisieren. Er wünschte sich einen jährlichen Ankaufsetat für Grafik und Kunstliteratur sowie Entscheidungsfreiheit für sich und eine Sammlungskommission bei den Erwerbungen. Eine Zugänglichkeit und die Nutzbarkeit für die Öffentlichkeit – hier bezog er auch den Grafikbestand der Kunsthütte mit ein – hatten dabei oberste Priorität, und so suchte er nach räumlichen Alternativen dafür: »Die Blätter der städtischen graphischen Sammlung, unter Passepartouts gelegt und mit den nötigen Angaben versehen, werden mit denen 6 Vgl. Brigitta Milde, »Die Städtische Kunstsammlung Chemnitz und ihr erster Direktor Friedrich Schreiber-Weigand«, in: Chemnitz – Aufbruch in die Moderne. Reformen – Ansätze – Widerstände. Beiträge zur Stadtgeschichte 1918–1933, hrsg. v. Stadtarchiv Chemnitz, Leipzig: O. K. Grafik 2010, S.149–170; sowie die Beiträge zur Städtischen Kunstsammlung in: Bußmann/Milde 2020 (wie Anm.1). 7 4.Graphische Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes, veranstaltet von der Kunsthütte zu Chemnitz im König-Albert-Museum, Ausst.-Kat. Chemnitz, Kunsthütte zu Chemnitz Mai – Juni 1912, Chemnitz: J.F.C. Pickenhahn & Sohn 1912; Jahresbericht der Kunsthütte zu Chemnitz 1910–1911, https://digital. slub-dresden.de/werkansicht/dlf/91577/1/ (1868–1919) (Zugriff am 7.11.2022), S.7. 8 Friedrich Schreiber-Weigand, »Über die zukünftige Organisation und den zukünftigen Ausbau der Städtischen Kunstsammlung, 21.7.1920«, in: Graphik-Sammlung betreffend 1920–1928, Stadtarchiv Chemnitz III X 68, S.3. 9 Friedrich Schreiber-Weigand, »Zu einem eventuellen Ausbau der graphischen Sammlung der Stadt Chemnitz, 8.10.1913«, in: Ankäufe und Schenkungen für das König Albert-Museum, 1909–1919, Stadtarchiv Chemnitz III X 31, S.107–110.

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