Leseprobe

112 – 113 Kunstkammerregal Um 1666 entstand das Gemälde Kunstkammerregal vom Hamburger Stilllebenmaler Georg Hainz. In einem Regal mit 15 Fächern werden wertvolle Objekte aus einer Vielzahl an kostbaren Materialien gezeigt. Zu sehen sind Schätze aus geschnittenen Halbedelsteinen, wie zum Beispiel die Karaffe aus Achat. Perlen und Korallenketten sind geschickt im Bild drapiert, um den Bildraum zu vertiefen. Ebenso hängen zwei Pistolen vor dem Regal mit demselben Effekt. Schalen, Pokale und Statuetten wirken wie eigenständige Kunstwerke in diesem Bild. In den unteren Fächern sind Naturalien wie Muscheln detailgenau wiedergegeben. In der Mitte des Regals steht ein großer Elfenbeinpokal mit Deckel, ein Werk von Joachim Henne, einem der angesehensten Elfenbeinschnitzer des Barock. Um 1663 bis 1665 war er gleichzeitig mit Hainz in Hamburg tätig.1 Auf dem Pokal sind Szenen eines Putten-Bacchanals dargestellt, also Putten beim Gelage des Weingotts Bacchus. Die rückseitige Szene des Pokals hat der Maler auf dem Elfenbeinhumpen im Fach links wiedergegeben. Hier wird der betrunkene Bacchus von Putten gestützt. Durch die täuschend echte Darstellung scheint das Bild in den Rahmen hineinzureichen. Diese Malweise wird trompe l’oeil genannt, französisch für »täusche das Auge«. Georg Hainz nutzte dabei den Setzkasten als virtuellen Raum, indem er die Objekte nah an die Bildoberfläche heranbrachte. Der damit verbundene Realismus der Gegenstände lässt die Vermutung aufkommen, dass sie aus einer konkreten Sammlung stammen, welche aber bis heute nicht nachgewiesen werden konnte.2 Viele der dargestellten Gegenstände im Kunstkammerregal sind Symbole der Vanitas, also Sinnbilder für die menschliche Vergänglichkeit. Diese für die Zeit des Barock typische Bildsprache steht im Spannungsfeld zwischen den Sentenzen carpe diem (Nutze den Tag) und memento mori (Bedenke, dass du sterben wirst). Auf dem Kunstkammerregal sind diese Dualitäten ebenfalls zu finden. Den spielenden Putten und den Trinkgefäßen als Bestandteile weltlicher Lust werden Totenköpfe und Taschenuhren als Vergänglichkeitssymbole entgegengesetzt. Die eigentliche Kunstkammer des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg weist ähnliche Schwerpunkte auf wie das Kunstkammerregal. Im Kunstkammerinventar von 1688, dem Toteninventar des Kurfürsten, bilden die »Geschnitzt=und Gedrechselten Kunstsachen«, auch Artificialia genannt, den Großteil der Sammlung, gefolgt von den Naturalia, den seltenen Naturobjekten.3 | CONSTANT I JN JOHANNES LEL IVELD

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