Leseprobe

41 Wenn man Kunst sammelt, sollte man eigentlich wissen, was Kunst ist. Welchen Sinn ergäbe es, etwas zu sammeln, von dem man nicht wüsste, was es ist? Ausgehend von einem naiven, ideellen Kunstbegriff sind wir bei den vielen Wandlungen der Kunst im 20. Jahrhundert skeptisch geworden, was unter Kunst zu verstehen ist. Werner Hofmann meinte, das Kunstproblem mit dem »Vereinbarungsbegriff« lösen zu können. »Wir müssen uns jedoch mit der Tatsache vertraut machen, daß Kunst ein Vereinbarungsbegriff ist, dem jede Epoche einen anderen Umfang einräumt.«1 Sofort schließt sich die Frage an, wer in diesem Fall die Vereinbarenden sind. Auch darauf gibt es keine klare Antwort. Da die Kunst zum Problem geworden ist, kann ein Sammler nicht sicher sein, ob die Sammlungsgegenstände zum Kunstbereich gehören. Die Bescheidenheit sagt ihm, er sammelt das, was er für Kunst hält, auch Werke, die bisher nicht als Kunst galten, und vielleicht auch andere, die nie als Kunst anerkannt werden. In seiner Rede in der Royal Academy, London, sagte Baselitz: »Sie [die Künstler] benehmen sich einfach wie Leute, die etwas behaupten, was andere nicht wissen wollen.«2 Die Künstler behaupten jedoch nicht nur mit Worten, dass ihre Werke Kunst seien, sondern die Werke selbst sind die Behauptung. Der Käufer der Werke gleicht in dieser Frage dem Künstler: Auch er behauptet den Kunstcharakter der Werke. Seine kritische Wahl ist gleichzeitig ein persönliches Bekenntnis zu einem bestimmten Werk. Wie der Künstler sich mit seinen Hervorbringungen der Öffentlichkeit exponiert, so exponiert sich der Sammler mit seiner Sammlung, wenn er sie ausstellt. Bei dem Überangebot an sogenannter Kunst findet die Auslese überwiegend im Ausschluss statt und weniger in der Zustimmung. Ernst Wilhelm Nay äußerte im Gespräch die Idee einer negativen Sammlung: Bezeichnender für eine Sammlung sei das, was nicht in ihr vorkomme, als das, was sie enthalte. Da eine Sammlung als ein Organismus zu verstehen ist, in dem alle Teile aufeinander bezogen sind, um ein Ganzes zu bilden, kann die Einheit durch unpassende Werke leicht gestört werden. Ist ein Grundstock vorhanden, beeinflusst dieser die Neuerwerbungen und die Sammlung bestimmt ihren Charakter selbst. GÜNTHER GERCKEN KUNST JENSEITS VON SCHÖN UND HÄSSLICH, JENSEITS VON ZWECK UND MORAL Georg Baselitz Bäume / 1974 / Blatt 33 √ Detail (Kat. 45, S. 117)

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