42 Nicht nur die Kunst in ihrem Wandel ist fraglich geworden, sondern auch ihre Beständigkeit und Geltungsdauer. Früher als unveränderlicher innerer Wert der Kunst gedacht, hängt die Dauerhaftigkeit nur vom Interesse und Wohlwollen der Menschen ab. Das Gültig-Bleiben ist ein Wunsch, der die jetzt geschätzten Kunstwerke in die ungewisse Zukunft begleitet. Mehr nicht. Nur die Bewahrenden können die Kunstwerke mit Leben erfüllen. Erlöschen ihr Interesse und ihr Kunstverständnis oder kommt es zu einem Kulturumbruch, so gehen auch die Kunstwerke unter, sinken bestenfalls zu Antiquitäten herab oder werden sogar vernichtet. Wie die Aktion »Entartete Kunst« der Nationalsozialisten 1937 gezeigt hat, sind wir im eigenen Land nicht sicher vor Kunstzerstörung und ideologischer Einflussnahme auf die Kunst, die versucht, diese zu einem Mittel für kunstfremde Zwecke zu machen. In dem Schauspiel Sakuntala von Kalidasa,3 einem nordindischen Dichter aus dem 5. Jahrhundert, das Ernst Ludwig Kirchner mit sechs Lithografien illustriert hat, wird die Handlung immer wieder von poetischen, meditativen Einschüben unterbrochen. Einmal heißt es: »Beim Anblick eines Elefanten zu sagen: ›Das ist kein Elefant‹, leise zu zweifeln, wenn er weiter schreitet, Gewissheit zu empfinden, wenn man seine Spuren betrachtet. So erging es mir.«4 Die Betrachtung schreibt dem realen Geschehnis weniger Überzeugungskraft zu als dem zurückbleibenden Fußabdruck. Auf die Kunst bezogen, erkennen wir den Künstler an den Spuren und Formen, die er als Zeichnung auf Papier oder eingeschnitten in einem Druckstock hinterlassen hat, und wir versuchen, uns zu vergewissern, ob es bleibende tiefe Spuren sind oder nur flüchtige, die von der Zeit bald verwischt werden. Spurensicherung Abb. 1 Georg Baselitz Zeichnung im Ausstellungskatalog Georg Baselitz. New Paintings / Pace Wildenstein Gallery, New York 1998 / Filzstift 292×235 mm Sammlung Günther und Annemarie Gercken
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