139 In ihrer 2012 von der Griffelkunst-Vereinigung Hamburg herausgegebenen sechsteiligen Auflagenarbeit Water Boarding thematisiert die US-amerikanische Künstlerin Jenny Holzer, bekannt für ihre LED-Schriftbänder mit sowohl politischen Statements als auch »Truisms« (Binsenweisheiten), die gleichnamige Foltermethode durch US-amerikanische Sicherheitskräfte im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus (Kat. 30, S. 71–73).1 In einem aufwendigen Verfahren entstanden in der Werkstatt für Papier von Gangolf Ulbricht in Berlin Werke aus mehreren Lagen handgeschöpften Papiers, die schwarze Flächen auf weißem Grund zeigen und an wenigen Stellen Schriftfragmente wie »enhanced techniques«, »Water Board« und »Top secret«.2 Die Blätter sind zwar Auflagenobjekte, haben aber durch die individuelle Fertigungsweise den Charakter von Unikaten, sie sind keine druckgrafischen Werke, besitzen jedoch drucktechnische Bezüge. Als Vorlage dienten der Künstlerin freigegebene Geheimdokumente der CIA. Jenny Holzer hat bis auf die erwähnten Schlüsselbegriffe die Schrift der Vorlagen komplett geschwärzt, sodass in der Reihe der sechs Arbeiten der Eindruck nahezu vollständig zensierter Schriftblöcke entsteht. Einerseits verdeutlichen sie die künstlerische Absicht von Jenny Holzer, auf das erlittene Unrecht der Gefangenen und das demokratisch verbriefte Recht auf Information aufmerksam zu machen. Andererseits weisen sie die eliminierte Schrift als geometrisch-abstrakte Flächen aus, deren künstlerisches Bezugssystem bis zum Schwarzen Quadrat von Malewitsch zurückreicht. Die politisch-aufklärerische Arbeit Jenny Holzers über das »Waterboarding« dürfte all denjenigen Betrachterinnen und Betrachtern »gegen den Strich« gehen, die den Westen im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus für moralisch überlegen halten. Die entschiedene Kritik der Künstlerin an der Anwendung von Folter und deren Geheimhaltung ist ein wesentlicher Grund dafür, dass sich Günther und Annemarie Gercken für den Ankauf der sechs Blätter entschieden haben und dass diese heute in der Ausstellung den Auftakt bilden. Ein weiterer Grund ist der experimentelle Herstellungsprozess der Edition, der sich für die Künstlerin zwingend vom Inhalt ableitete. Das Handschöpfen der schwarzen und weißen Papierbögen im Sieb nimmt nicht nur Bezug auf die Materialität der Schriftstücke, sondern ebenfalls auf das Wasser beim Foltern und evoziert dadurch die Vorstellung, dass das Werk gleichsam entgegengesetzt zum »Waterboarding« aus dem Wasser aufsteigt und sich sowie den Opfern Luft und Sichtbarkeit verschafft. Damit hat Jenny Holzer ein überaus starkes Bild erzeugt. BJÖRN EGGING GEGEN DEN STRICH UND DARÜBER HINAUS Zur Druckgrafik von Baselitz, Kirchner und Nitsch in der Stiftung und Sammlung Günther und Annemarie Gercken Hermann Nitsch Die Architektur des Orgien Mysterien Theaters Mappe III, Kassette I 1984–1992 / Blatt 3 √ Detail (Kat. 48, S. 163)
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