141 quasi enzyklopädischen Ansatzes von Malelade muss man sich Baselitz’ damalige intensive Beschäftigung mit der Rolle und Bedeutung des Motivs oder Gegenstands in seiner Kunst vor Augen führen. 15 Jahre nachdem Baselitz begonnen hatte, seine Motive auf den Kopf zu stellen, womit er sich ganz auf den Malprozess und das Bildermachen konzentrieren wollte, reflektierte er in seiner Schrift Das Rüstzeug der Maler von 1985 wiederholt das Verhältnis von Außen- und Innenwelt beim Malen und bekräftigte die Meinung, dass das Motiv zweitrangig sei: »Kein Maler geht auf Motivsuche, das wäre paradox, denn das Motiv ist im Kopf des Malers, der Mechanismus, der denkt.«7 Die umfängliche Bilderfolge Das Motiv, die daraufhin 1988 entstand und sich aus insgesamt fast 200 Ölbildern, Zeichnungen und Pastellen zusammensetzt, kann als Zwischenbilanz dieser Überlegungen betrachtet werden, »als eine Art Schnittstelle, an der das bisher Erreichte kristallisiert Ausdruck findet und dabei zugleich neue bildnerische Perspektiven eröffnet«.8 Weder illustrieren die Figuren, Tiere, Stillleben und Landschaften der Gruppe eine Bildidee, noch stehen sie in einem erzählerischen Verhältnis zueinander, ebenso treffen sie keine außerbildliche Aussage, sondern erzeugen ihre bildliche Stärke und Berechtigung allein aus der Art und Weise ihrer Komposition als Kunstwerk. Auch das Künstlerbuch Malelade, für das Baselitz bei der Auswahl der Darstellungen bewusst auf den Fundus aus Das Motiv zurückgegriffen hat (Abb. 1), handelt nicht von Gegenständen, sondern von Bildern.9 Begünstigt wird diese Sichtweise auf die Mappe allein schon durch den druckgrafischen Herstellungsprozess, denn Baselitz hat sein Motiv nicht nur auf dem Kopf, sondern zudem seitenverkehrt zum Druckergebnis auf die Platte aufgebracht. Bei der Schrift kommt zur Spiegelbildlichkeit noch die Beeinträchtigung der Lesbarkeit durch die Kaltnadeltechnik hinzu, die durch den Widerstand der Metallplatte Schönschrift geradezu verhindert. Baselitz hat sich vielfach ausführlich über die künstlerischen Eigenschaften der Druckgrafik geäußert. Attribute wie kühl, Abb. 1 Georg Baselitz Ohne Titel, 1988 (5. VI. 88) aus der Serie Das Motiv / Pastell 770×590 mm Privatbesitz
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