Leseprobe

METROPOLEN 42 4 LE CORBUSIER Plan Voisin 1925 Tempo: Die Metropole als Imaginationsraum Neben die Vernetzung der Metropolen untereinander trat in den 1920er-Jahren die Idee der in sich vernetzten Stadt: Das Zeitalter des funktionalistischen Städtebaus kündigte sich an, die Stadt wurde zur Maschine. 1922 stellte Le Corbusier im Pariser »Salon d’Automne« sein Projekt einer »Zeitgemäßen Stadt für drei Millionen Einwohner« vor. Die Ausstellung, in der die Stadt der Zukunft auf einem 100 qm großen Diorama präsentiert wurde, schockierte die Besucher*innen damals mit ihrer Radikalität. »Rhythmisch gezahnte Häuserblocks« lagen hier eingebettet in weite Rasenflächen, durchsetzt mit Spielplätzen. Betonstützen sollten die Gebäude auf einer Höhe von 20 Metern halten, wo sie mit Fahrstraßen verknüpft werden konnten. Alles sollte mit allem vernetzt sein, um reibungslose Dynamik mit der Lebensqualität von Licht, Luft und Sonne zu verbinden. Le Corbusiers städtebauliche Visionen lebten wesentlich davon, dass sie den motorisierten Massenverkehr und sein Betriebstempo antizipierten. 1925 entwarf der Architekt in seinem Städtebau-Manifest Urbanisme ein Szenario, das weit in die Zukunft vorauswies (Abb. 4): »Treten wir ein durch den Zentralpark. Das sausende Auto folgt der Autobahn: Entgegen der majestätischen Wolkenkratzerallee […]. Das Auto hat den Damm und seine hundert Kilometer in der Stunde verlassen; sanft rollt es in die Wohnviertel ein. […] Alles beherrscht der Himmel, weit und frei […]. Schon in dem Blau der Ferne sich lösend, erheben die Wolkenkratzer ihre großen geometrischen, ganz aus Glas gebildeten Flächen. […] Ein einziger Glanz! Riesige, aber strahlende Prismen.« Und an anderer Stelle heißt es vielsagend: »Die Stadt, die über Geschwindigkeit verfügt, verfügt über den Erfolg.«9 Was Le Corbusier damals vorschwebte, wurde erst viel später ansatzweise realisiert, in den vom Architekten selbst entworfenen Unités d’Habitation, aber auch vielen anderen Siedlungen der 1950er- und 1960er-Jahre. In den 1920er-Jahren blieben solche Ideen zunächst ein radikales künstlerisches Statement, eng verknüpft mit neuen Vorstellungen von Gesellschaft und sozialer Technologie. Dass an den historischen Bruchstellen der politischen Systeme immer viel Raum für städtebauliche Experimente war, zeigen die urbanistischen Ideen der frühen Sowjetunion besonders deutlich. Die architektonische Moderne wurde dort zum wichtigen Medium der Distanzierung von der alten

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