LEBENSWELTEN 184 Tempo war eine Lieblingsvokabel der Zeit. Nachdem sich der Krieg festgefahren hatte, sollte wenigstens der Frieden schnell sein. Schnelle Autos, schnelle Sprints, schnelle Nachrichtenübermittlung – wer Zeit verlor, verlor Geld, das hatte nicht zuletzt die Inflation gelehrt. Die »Bremen«, ein ohnehin sehr schnelles Passagierschiff, das im Liniendienst zwischen Bremerhaven und New York verkehrte, führte ein kleines Flugzeug mit sich, das 2000 Kilometer vor dem jeweiligen Ziel mit einem Startschlitten in die Luft katapultiert wurde, um den Rest der Strecke vorauszufliegen und auf diese Weise die Briefpost noch schneller zuzustellen. Nie konnte es schnell genug gehen. Erika Mann, die Tochter des Nobelpreisträgers, liebte es, in ihrem Ford über die Dörfer zu jagen und die Hühner auf den Straßen möglichst so zwischen die Räder zu nehmen, dass sie unversehrt überfahren wurden. Finanziert von der Zeitschrift Tempo, nahm sie an einer 10000-KilometerRallye teil, begeistert darüber, dass bei dieser Geschwindigkeit »Europa nur ein Ding zum Durchfahren« war. Keck die klassische Bildung ihres Vaterhauses hintertreibend, brachte sie die Raumerfahrung der Rallye so auf den Punkt: »Rom – nur eine Waschgelegenheit«.1 Der »Neuen Frau« der 20er-Jahre brachte das Automobil die rauschhafte Erfahrung ihrer Unabhängigkeit. Sie brauste auf und davon, endlich dem Mann an Geschwindigkeit ebenbürtig. Ob Bugatti, Mercedes Roadster oder Adler Cabriolet – das schnelle Auto wurde zum Lieblingsgefährten der »Girldriver«. Die junge Autorin Ruth Landshoff-Yorck ermahnte in einer ihrer Auto-Kolumnen, die sie für diverse Ullstein-Blätter und deren motorisierte Leserinnen schrieb, dem geliebten »Boyfriend« stets 3 Werbung für Citroën in La Gazette du Bon Ton 1922 2 Das Wohnzimmer von Lucia und László Moholy-Nagy in Dessau um 1925
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