Leseprobe

/ 25 24 Die Ausgangslage: Nolde, ein Opfer der NS-Kunstpolitik Zusammenfassend kann Noldes Sonderstellung im Nationalsozialismus in etwa so beschrieben werden: Der Expressionist Emil Nolde ist der wohl berühmteste »entartete Künstler«. Denn von keinem anderen Maler wurden während des Nationalsozialismus so viele Arbeiten beschlagnahmt (über 1 000 Werke) und derart prominent in der Propagandaausstellung »Entartete Kunst« zur Schau gestellt (über 30 Gemälde). Gleichzeitig war Nolde seit Mitte September 1934 Parteimitglied und verlor bis zum Kriegsende seinen Glauben an das NS-Regime nicht.5 Nachdem der Künstler im August 1941 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen wurde und ein Ausstellungs-, Verkaufs- und Publikationsverbot erhielt, beschrieb seine Frau Ada im Januar 1942 den Widerspruch, den sie in der Verfemung ihres Mannes angesichts seiner Loyalität dem neuen Staat gegenüber erkannte: »Der deutscheste, germanische, treueste Künstler ist ausgeschlossen. Es ist der Dank für seinen Kampf gegen die Überfremdung und die Juden, der Dank für seine große Liebe zu Deutschland, trotzdem es ihm, durch die Abtretung Nordschleswigs so leicht gewesen wäre, sich ins andere Lager zu schlagen. Es ist aber hauptsächlich der Dank für seine große Kunst, der er sein Leben gewidmet hat. Es ist der Dank für seine Zugehörigkeit zur Partei, in der er, trotz vieler Fehler, doch die Lösung der Volksprobleme sieht.«6 Tatsächlich waren die politischen Überzeugungen Noldes so stark, dass die persönliche Erfahrung der Zurücksetzung durch die Reichskunstkammer seine Parteitreue nicht erschüttern konnte. Die in Künstlerkreisen bekannte nationalsozialistische und antisemitische Ausrichtung des Ehepaars führte dazu, dass der Kunstkritiker Adolf Behne den Maler anlässlich seines 80. Geburtstags 1947 in einer Berliner Tageszeitung pointiert als »entarteter ›Entarteter‹« bezeichnete.7 Doch war Behne mit seiner öffentlichen Stellungnahme eine Ausnahme. Nolde wurde in den Jahren nach Kriegsende in der Öffentlichkeit in erster Linie als verfolgter Wegbereiter einer neuen deutschen Kunst und als Opfer der NS-Kunstpolitik wahrgenommen. Zu seinem 79. Geburtstag – ein Jahr vor Behnes Zwischenruf – war ihm eine Ehrenprofessur verliehen worden; kurz danach, am 13. August 1946, war die offizielle Entlastung im Rahmen des für ehemalige NSDAP-­ Parteimitglieder obligatorischen Entnazifizierungsverfahrens erfolgt. Dabei wurde die Ablehnung von Noldes Kunst durch den NS-Staat als »Absage gegen das Regime« gewertet.8 Anhand der autobiografischen Schriften des Künstlers und anderer Korrespondenzen zeichnen die Beiträge im Ausstellungskatalog eindrücklich nach, wie die komplexe Rolle Noldes im Nationalsozialismus nach dem Krieg durch Auslassungen und Ergänzungen – unter Beteiligung einer Reihe von Kunsthistorikerinnen und -historikern und Bekannten aus dem Kreis des Künstlers – in eine Heldenerzählung verwandelt wurde.9 Der Künstler diente als Projektionsfläche der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die für den kulturellen Wiederaufbau Identifikationsfiguren und eine »gute« Moderne brauchte. T h e i n i t i a l s i t u a t i o n : No l d e , a v i c t i m o f Na z i a r t p o l i c y In summary, Nolde’s exceptional position in National Socialism can be described roughly as follows: The expressionist Emil Nolde (1867–1956) is probably the most famous “degenerate artist”. For no other painter had so many works confiscated during National Socialism (over 1000 works) and was so prominently displayed in the propaganda exhibition “Degenerate Art” (over 30 paintings). At the same time, Nolde had been a party member since mid-September 1934 and did not lose his faith in the Nazi regime until the end of the war.5 After the artist was expelled from the Reich Chamber of Fine Arts in August 1941 and banned from exhibiting, selling, and publishing, his wife Ada in January 1942 described the contradiction she saw in her husband’s ostracism in view of his loyalty to the new state: “The most German, Germanic, loyal artist is excluded. It is the gratitude for his fight against foreign domination and the Jews, the gratitude for his great love for Germany, even though it would have been so easy for him, through the cession of Northern Schleswig, to join the other camp. But it is mainly the gratitude for his great art, to which he devoted his life. It is the gratitude for his affiliation to the party, in which, despite many mistakes, he nevertheless regards the solution of the people’s problems.”6 In fact, Nolde’s political convictions were so strong that the personal experience of being set back by the Reich Chamber of Art could not unsettle his party loyalty. The couple’s National Socialist and anti-Semitic orientation, which was well known in artistic circles, led the art critic Adolf Behne to pointedly refer to the painter as a “degenerate ‘degenerate’” in a Berlin daily newspaper on the occasion of the artist’s 80th birthday in 1947.7 Behne was an exception, however, with his public statement. In the years after the end of the war, Nolde was perceived by the public primarily as a persecuted pioneer of a new German art and as a victim of Nazi art policy. On his 79th birthday—one year before Behne’s interjection—he had been awarded an honorary professorship; shortly thereafter, on August 13, 1946, the official exoneration had taken place within the framework of the denazification procedure that was obligatory for former NSDAP party members. In this process, the rejection of Nolde’s art by the Nazi state was assessed as a “rejection of the regime”.8

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