Leseprobe

42 / 43 In der Tat hält Nolde mit 1 052 Arbeiten den bedauerlichen Rekord der am meisten beschlagnahmten Werke innerhalb der Aktion »Entartete Kunst« ab 1937 und ihn ereilte 1941 der Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste mit Verkaufs-, Ausstellungs- und Publikationsverbot sowie der Verwehrung von notwendigen Materialbezugsscheinen. Dem wahren Kern historischer Tatsachen fügte Nolde Details hinzu, schmückte Feinheiten aus und ließ Teilstücke weg.7 Der Künstler wusste um die Wirkungsmacht des Wortes. Und so zog seine Wortschöpfung »Malverbot« mit entsprechender Konnotation als fester Terminus in seine Rezeptionsgeschichte ein. Im Gleichklang mit einer weit verbreiteten Gesellschaftshaltung in der Nachkriegszeit wurden in den von der Nolde Stiftung Seebüll herausgegebenen und von Werner Haftmann verfassten Publikationen die bis 1945 nachweislich anhaltenden Sympathien des Künstlers zum Nationalsozialismus verschwiegen.8 Somit trat die einseitige Sicht auf Nolde als Opfer der Nationalsozialisten ihren Siegeszug an. Dass die beeindruckende Werkgruppe der Ungemalten Bilder und ihre mythologisierte Entstehung in ›rebellischer Heimlichkeit‹ – losgelöst vom restlichen Schaffen – erst nach dem Tod des Künstlers ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangte, förderte die romantisierende Legendenbildung. Zwar stechen die Ungemalten Bilder einerseits durch Qualität und Quantität aus dem Œuvre hervor, doch andererseits fügen sie sich zugehörig und stimmig ein und entzaubern dadurch den sie umgebenden Mythos. Das Format9 Das geringe Maß der Ungemalten Bilder ist unter den Papierarbeiten von Emil Nolde nicht ungewöhnlich. Neben den Ungemalten Bildern, die der Künstler in 31 Mappen zusammenhielt, existieren mehrere Hundert Blätter von vergleichbar kleinem Format, die in andere Kategorien sortiert sind (Abb. 4, Kat.-Nr. 1, 4, 5, 7, 8).10 Während etliche auf Blockpapier oder in Skizzenbüchern, die später aufgelöst wurden (Kat.-Nr. 2, 4), entstehen, weisen zahlreiche andere Arbeiten neben den Ungemalten Bildern unterschiedliche Seiten und leicht unregelmäßige Schnittkanten auf, die für den Zuschnitt von Hand sprechen (Abb. 4, Kat.-Nr. 23). Die geringe Größe der zugeschnittenen Papiere lässt sich auf Noldes generelle Sparsamkeit zurückführen. Denn der Künstler verwendet die Reststücke der üblicherweise mit freier Hand zugeschnittenen größeren Aquarellformate für seine »kleinen Aquarelle, so auch die ›Ungemalten‹«.11 In fact, Nolde holds with 1,052 works the deplorable record of having the most confiscated works within the “Degenerate Art” campaign of 1937, and in 1941 he was excluded from the Reich Chamber of Fine Arts with a ban on sales, exhibitions, and publications, as well as the denial of necessary material ration coupons. To the true core of historical facts, Nolde added details, embellished nuances, and left out parts.7 The artist was aware of the effective power of words. And, therefore, his coinage of “painting ban” with the corresponding connotation became a fixed term in his reception history. In harmony with a widespread attitude in society in the post-war period, the publication by the Nolde Foundation Seebüll and written by Werner Haftmann, the artist’s sympathies with National Socialism were kept secret until 1945.8 As a consequence, the one-sided view of Nolde as a victim of the National Socialists started its triumph. The fact that the impressive group of Unpainted Pictures and their mythologized creation in ‘rebellious secrecy’—disconnected from the rest of the work— which only came to public awareness after the artist’s death, promoted the romanticizing creation of the legend. While the Unpainted Pictures, on the one hand, stand out for their quality and quantity in the complete works, on the other hand, they fit in accordingly and coherently, thus dispelling the myth surrounding them. T h e F o rma t9 The small size of the Unpainted Pictures is not unusual among the paper works by Emil Nolde. In addition to the Unpainted Pictures, which the artist kept together in 31 folders, there are several hundred sheets of a similarly small format, which are sorted into other categories (fig. 4, cat. no. 1, 4, 5, 7, 8).10 While some were created on drawing paper or in sketchbooks, which were later dissolved (cat. no. 2, 4), many other works, in addition to the Unpainted Pictures, display different sides and slightly irregular cut edges, which suggest that they were cut by hand (fig. 4, cat. no. 23). The small size of the cut papers can be attributed to Nolde’s general frugality. For the artist uses the scraps of the usually hand-cut, larger watercolour formats for his “small watercolours, including the ‘Unpainted’ ones”.11

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1