Leseprobe

/ 143 142 Before his journey to Papua New Guinea and, among other places, to Mandalay in Burma, Nolde had already created isolated works in which People of Colour can be seen half-naked, dressed only in a skirt, with wildly flying hair and sweeping dance movements (cf. fig. 3). It is only a small number, measured against his overall work, but neverthe-less he followed in these pictures the racisms and exoticisms of the colonial period by illustrating the supposedly originally “wild” of the indigenous peoples.11 In Emil Nolde’s work, an ambivalent tension can be discerned regarding his treatment of indigenous art and population. Before his journey to Oceania, he visualized his Western-influenced ideas of the “alien” in art as a paradisiacal alternative world to Wilhelmine bourgeois society. He appreciated the aesthetics of indigenous cultural objects, which he studied at the Berlin Ethnological Museum in 1910–1911 and which found expression in his choice of motifs and formal language in his subsequent works. In his 1936 memoir, he criticized the consequences of colonization for the populations of Oceania as experienced on-site: “Colonization is a brutal affair. One thing is certain: we white Europeans are the disaster of the coloured primitive peoples”12. This reality, however, is not reflected in the works of Emil Nolde, since it did not correspond to the paradisiacal idea of the Expressionists.13 Subsequently, there are statements by Nolde with equally positive connotations about the process of colonization: “We had the impression that our German colonies were administered with the most beautiful and humane consideration possible. Some mistakes may have been made in human error or bureaucratic narrow-mindedness, but they do not weigh so heavily [...]”.14 In occasional colour lithographs, watercolours, paintings and on ceramic works, which were created before his expedition, he visualized his conceptions of dancing women with different incarnate colours from pink to brown tones, which served the common paradise and sexual utopias about “foreign” cultures and countries of the society of that time (cf. fig. 3, fig. 4, fig. 5).15 “In sweeping movements, she presents her pubic area broad-legged and seemingly oblivious”16, is how Angela Alves describes Nolde’s “Female Dancer” (cf. fig. 4), who gives expression to her feelings with uninhibited movements. Emil Nolde reiste zusammen mit seiner Frau Ada im Jahr 1913/14 als Teilnehmer der letzten Expedition des Deutschen Kaiserreichs nach Papua-Neuguinea, das damalige Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea. Seine Aufgabe innerhalb der Reise reflektierte er 1936, bestärkt durch nationalsozialistische Propaganda und das Regime als Adressaten im Blick, in seinem Memoirenband Welt und Heimat. Die Südseereise. 1913–1918: »Das ›Demographische‹, die Erforschung der rassischen Eigentümlichkeiten der Bevölkerung, war meine freie und besondere Aufgabe.«8 Im Zuge der Kolonialisierung verdichtete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Vorstellung von den Völkern Ozeaniens, basierend auf mitgebrachten Kulturgütern aus den kolonialisierten Gebieten, der Bewerbung des »Exotischen« bei Konsumgütern, wachsenden ethnologischen Sammlungen und einer verstärkten Ozeanien-Rezeption in der populären Literatur, die bei Europäerinnen und Europäern zu einer stereotypenbehafteten Überzeichnung der »wilden Naturvölker« führte.9 Expressionisten, die auf der Suche nach Unmittelbarkeit in der unberührten Natur und Bevölkerung die vollkommene Ausführung von Leben und Kraft sahen, unterstützten mit ihren Werken Vorstellungen der »lebensfremden Urwelten«, welche sich im kollektiven Gedächtnis der westlichen Bevölkerung Europas festsetzten.10 Es waren Motive, die Nolde bereits vor seinen Reisen in die überseeischen Gebiete in den ethnologischen Museen studierte und in seinen Werken abbildete. Vor seiner Reise nach Papua-Neuguinea und unter anderem nach Mandalay in Birma fertigte Nolde schon vereinzelt Arbeiten an, auf denen People of Colour halbnackt, nur mit einem Rock bekleidet, mit wild fliegenden Haaren und ausladenden Tanzbewegungen zu sehen sind (Abb. 3). Es ist nur eine geringe Anzahl, gemessen an seinem Gesamtwerk, aber dennoch folgte er in diesen Bildern den Rassismen und Exotismen der Kolonialzeit, indem er das vermeintlich ursprünglich »Wilde« der indigenen Bevölkerung veranschaulichte.11 Bei Emil Nolde lässt sich ein ambivalentes Spannungsverhältnis bezüglich seines Umgangs mit der indigenen Kunst und Bevölkerung ausmachen. Vor seiner Reise nach Ozeanien verbildlichte er seine westlich geprägten Vorstellungen der »Fremde« in der Kunst als paradiesische Gegenwelt zur wilhelminisch bürgerlichen Gesellschaft. Er schätzte die Ästhetik der indigenen Kulturgüter, die er 1910/11 im Berliner Völkerkundemuseum studierte und welche sich in Motivwahl und Formensprache in seinen anschließenden Werken niederschlug. Ebenfalls kritisierte er in seinem Memoirenband von 1936 die vor Ort erlebten Folgen der Kolonialisierung für die Bevölkerung Ozeaniens: Abb. 2 »Tänzerinnen« / 1920

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