Hans Nadler Die Biografie des sächsischen Denkmalpflegers Sebastian Rick
Hans Nadler (1910 – 2005) Die Biografie des sächsischen Denkmalpflegers SANDSTEIN Sebastian Rick
6 Vorwort 10 Kindheit in Gröden 16 Jugendzeit und Reifeprüfung am Staatsgymnasium in Dresden 21 Studium an der TH Dresden 35 Dissertation in Rodewisch 44 Kriegszeit 65 Der Neuaufbau des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege 85 Der Kampf um das alte Dresden beginnt 100 Die Gründung des Instituts für Denkmalpflege und die Fortsetzung der Auseinandersetzung um die Neugestaltung Dresdens 109 Die ersten großen Angriffe gegen Nadlers Stellung 117 Der Abriss der Sophienkirche 124 Erste Erfolge und der Bau der Mauer 133 Streit im Institut und mit dem Bezirk 145 Die Berufung zum Professor 149 Der Abriss der Universitätskirche in Leipzig 162 Internationale Anerkennung und das neue Denkmalschutzgesetz 175 Der Wiederaufbau der Dresdener Semperoper 180 Der Bau des Hotels Bellevue in Dresden 185 Nadler im Visier der Stasi 189 Der Europapreis und die letzten Jahre im Amt 192 Nadler wird zum Nestor 205 Die Wiedervereinigung und die archäologische Rekonstruktion der Frauenkirche 217 Der »Unruhständler« Hans Nadler 220 Der private Streit um den Dinglinger-Weinberg 228 Lebensabend und was bleiben wird 240 Anmerkungen 271 Abkürzungen 272 Quellen 276 Literatur 280 Impressum
10 Kindheit in Gröden »Hans hingegen schien froh zu sein, daß man ihm durch einige Mühe das Leben erhalten hatte«, schrieb Hans Nadlers Mutter kurz nach seiner Geburt am 1. Juli 1910 in ihr Tagebuch.6 Im Gegensatz zu seinem kurz vorher geborenen Zwillingsbruder Fritz, dessen Geburt unkompliziert verlief, brauchte Hans Nadler viel Hilfe und Glück, um überhaupt ins Leben starten zu dürfen. Wäre seine Mutter Elfriede Nadler zur Geburt der Zwillinge nicht von ihrem Wohnort in Gröden in ihr Dresdener Elternhaus am Striesener Platz zurückgekehrt, wäre seine Geburt wohl nicht so glimpflich verlaufen. Die beiden Geschwister Fritz und Hans Nadler kamen am 1. Juli 1910 als zweites und drittes Kind des Kunstmalers Hans Nadler (1879–1958) und seiner Ehefrau Elfriede Nadler geb. Weise (1884–1936) zur Welt. Bereits drei Jahre zuvor wurde ihre Schwester Käte Nadler geboren. Elfriede Nadler entstammte einer wohlhabenden Familie. Vom Erbe ihres Ehemanns ließ sich Nadlers Großmutter Anna Katharina Weise im Jahr 1889 ein komfortables Wohnhaus am Striesener Platz errichten, welches sie mit ihren beiden alleinstehenden Kindern Kurt und Victoria Weise bis zur Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 bewohnte. Nadlers Großvater, der österreichische Oberstabsarzt Heinrich Weise, verstarb bereits kurz nach der Geburt von Elfriede Weise im Jahr 1884.7 Trotz der jüdischen Abstammung von Heinrich Weise wurde seine Tochter evangelisch getauft. Dass sich später im »Dritten Reich« einmal ein Nachteil aus dem jüdischen Glauben des längst verstorbenen Großvaters für die Kinder von Elfriede Weise ergeben würde, war im Jahr der Geburt von Hans Nadler keineswegs absehbar. Das Ehepaar Nadler ließ die beiden Kinder Hans und Fritz ganz selbstverständlich am 7. August 1910 kurz nach ihrer Geburt in der Dresdener Johanneskirche evangelisch taufen. Ob den Zwillingen die jüdische Abstammung des Großvaters vor 1933 überhaupt bewusst war, ist stark zu bezweifeln. So spielte der jüdische Glauben im täglichen Leben von Hans Nadler zu keinem Zeitpunkt eine Rolle.
11 Die Vorfahren von Hans Nadler lebten bereits seit mehreren Jahrhunderten in der näheren Umgebung von Elsterwerda.8 Der Großvater väterlicherseits, Friedrich Nadler (1847–1924), war Pädagoge im Elsterwerdaer Lehrerseminar gewesen. Er verfasste mehrere pädagogische Bücher, die sich im Kaiserreich zu einer Standardlektüre für den Lehrernachwuchs entwickelten.9 Sein Sohn Hans Nadler senior entschloss sich jedoch gegen den Lehrerberuf. Er begann nach dem Gymnasialabschluss ein Studium an der Dresdener Kunstakademie. Hier studierte er von 1897 bis 1905 u. a. bei Gotthard Kuehl und Carl Bantzer, die der Dresdener Kunstszene nach langen farblosen Jahren Ende des 19. Jahrhunderts neue Impulse gaben. Während Bantzers »Freilichtsemestern« in Goppeln traf der junge Kunststudent seine spätere Ehefrau Elfriede Weise, welche zeitgleich Malkurse bei Wilhelm Georg Ritter belegte.10 Als Nadler nach seinem Studium erste Arbeiten verkauft hatte, heirateten beide am 25. April 1906, und das junge Paar entschloss sich zum Bau eines Ateliers in Gröden bei Elsterwerda.11 Schwester Käte und die beiden Zwillinge Hans und Fritz mit ihrer Mutter Elfriede Nadler, 1910
12 Das Dorf Gröden wurde daraufhin zur künstlerischen Heimat des Malers Hans Nadler senior. Wie viele andere Künstler in dieser Zeit zog es den Kunstmaler zur Motivsuche aufs Land. Seine Inspiration fand er unweit seines Geburtsortes Elsterwerda in Gröden, wo er 1906 etwas abseits vom Dorfkern ein Stück Land erwarb, auf dem er ein selbstentworfenes Landhaus mit Atelier errichten ließ. Im weltverlorenen Gröden mit seiner wasserdurchdrungenen Flussniederung im Norden und waldbedeckten Hügellandschaft im Süden fing Hans Nadler senior weitab von der Großstadt die landschaftlichen Reize, aber auch die Traditionen der hier lebenden Menschen in seiner Kunst ein. Dennoch verlor der Künstler nie den Kontakt zur Dresdener Kunstszene. In der sächsischen Landeshauptstadt engagierte er sich viele Jahre in der Dresdener Künstlervereinigung und im Akademischen Rat. Er wurde kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, wahrscheinlich als letzter Hochschullehrer, vom sächsischen König zum Professor berufen. Trotz seiner neuen Heimat in Gröden traf er sich regelmäßig am »Stammtisch« mit anderen Dresdener Kunstschaffenden wie Otto Gussmann und Paul Rößler.12 Durch diese hervorragenden Kontakte innerhalb der sächsischen Kunstszene gelang es ihm auch, mehrere öffentliche Kunstaufträge zu erhalten. Das eindrucksvollste heute noch erhaltene Werk von Hans Nadler befindet sich am nordöstlichen Kopf der Augustusbrücke. Hier entstand 1936/37 ein monumentales Sgraffito mit etwa 500 Porzellankacheln, auf denen der Aufbau der Stadt dargestellt wurde.13 Obwohl die Zwillinge ihre ersten Kindheitsjahre im abgelegenen Gröden verbrachten, wurde der spätere Denkmalpfleger Hans Nadler zusammen mit seinem Bruder Fritz sowie mit seiner älteren Schwester Käte in eine in Dresden und der näheren Umgebung hochangesehene und bestens vernetzte Künstlerfamilie hineingeboren. Für den späteren Werdegang von Hans Nadler war dies eine der wichtigsten Voraussetzungen. Nicht nur die guten Kontakte des Vaters in die sächsische Kunstszene waren von Vorteil; auch das frühe Kennenlernen der Arbeitsweise eines Künstlers sollte für seine späteren Aufgaben von enormer Wichtigkeit sein. Bereits in frühester Kindheit standen er und seine Geschwister Modell für den Vater, wie zahlreiche Bilder aus dieser Zeit beweisen. Abseits der Großstadt lernten die Kinder des Künstlers bei vielen Wanderungen durch die Schradenlandschaft, beim Baden am Sandstrand des Grödener Alten Schachtes oder beim winterlichen Rodeln auf den kleinen Grödener Hügeln auch das von ihrem Vater immer wieder in seinen Bildern eingefangene Gefühl der Naturverbundenheit schätzen. Nadler wurde nicht als Großstadtkind geboren. Er erschloss sich seine Lebenswelt nicht durch theoretische Überlegungen am Schreibtisch. Geprägt durch seine freie, naturverbundene Grödener Kindheit reiste er später als Denkmalpfleger so oft wie möglich zu den Orten des Geschehens.
13 Gleichfalls vermittelten seine Eltern ihm nie das Gefühl, im Gegensatz zu den Dorfbewohnern einer besseren sozialen Schicht anzugehören. Sein Vater war seit seiner Ankunft in Gröden bemüht, sich in das Dorfleben zu integrieren. Ob beim sonntäglichen Kirchgang oder beim Besuch der Dorfschänken, er versuchte immer, einen ungezwungenen Kontakt zu den Dorfbewohnern aufzubauen.14 In Gröden abseits der großen Fabriken und des weiten Gutsbesitzes übertrug sich diese unkomplizierte Art des Vaters zweifelsohne auch auf die Kinder. Hart aufeinander prallende Klassengegensätze lernte Hans Nadler in Gröden nicht kennen. Insbesondere in den schweren Zeiten am Ende des Ersten Weltkriegs, während der Inflation und der Weltwirtschaftskrise waren diese Kontakte von großem Vorteil. Die Familie bewirtschaftete zwar einen Garten neben dem Haus, konnte sich daraus aber nicht vollständig selbst versorgen. Nachdem der Vater im Ersten Weltkrieg Kriegsanleihen aufgenommen hatte, verlor er am Ende des Krieges einen erheblichen Teil seines Vermögens.15 Zudem entwertete die Inflation Anfang der 1920er Jahre die Einnahmen des Malers nahezu vollständig. Unglücklicherweise verkaufte er gerade zu diesem Zeitpunkt einen Großteil seiner Grafiken an einen Kunsthändler. Wie Hans Nadler später selbst berichtete, verloren die Einnahmen durch dieses Geschäft so sehr an Wert, dass er seinen Kindern nur noch drei Paar Hans und Fritz Nadler beim Baden im alten Schacht in Gröden 1916
44 Kriegszeit Kurz bevor der Zweite Weltkrieg am 1. September 1939 ausbrach, unternahm Hans Nadler zusammen mit seinem Zwillingsbruder und zwei ehemaligen Pfadfinderfreunden im August 1939 eine Skandinavienreise. Dazu trafen sich die Fahrtteilnehmer am 29. Juli 1939 in Berlin, um über Stettin mit der Fähre nach Helsinki zu reisen.158 Ausgerüstet mit Zelten, kamen sie am 31. Juli 1939 in Helsinki an und fuhren über Lathi und Rovaniemi mit der Eisenbahn und dem Motorboot bis nach Kirkenes im Norden Norwegens. Von dort erreichten sie am 8. August 1939 das Nordkap.159 Dass Hans Nadler nur wenige Jahre später im Krieg eine ähnliche Marschroute einschlagen würde, konnte er zu dieser Zeit nicht wissen.160 So kam bei allen Beteiligten während der ausgelassenen Reise durch die unwirkliche Tundralandschaft Lapplands kein Gedanke an einen leidvollen Krieg auf. Unbeschwert setzten die Fahrtenfreunde ihre Reise, trotz der verschlechterten weltpolitischen Lage, über Narwik mit einem Postschiff nach Oslo fort. Schließlich kam die Gruppe um Hans und Fritz Nadler über Stockholm und Malmö am 23. August 1939 wieder in Berlin an.161 Hier sollten sich die Wege der Brüder für immer trennen. Da Fritz Nadler unmittelbar darauf zur Wehrmacht eingezogen wurde, hatten beide keine Gelegenheit mehr, sich während eines Fronturlaubs zu sehen.162 Fritz Nadler fiel am 10. Oktober 1942 im Alter von nur 32 Jahren bei den Kämpfen um Stalingrad.163 Nach dem frühen Tod der Mutter traf dieser Verlust Hans Nadler ganz besonders. Seit frühester Kindheit entwickelten beide eine besondere Beziehung zueinander. Sie nutzten trotz der unterschiedlichen Dienstorte in Rodewisch und Leverkusen jede freie Gelegenheit, wie in frühester Jugend und bei den Dresdener Pfadfindern, Zeit miteinander zu verbringen. Den Verlust des geliebten Bruders konnte Hans Nadler bis zu seinem Lebensende nicht vollständig überwinden.164 Dieser Verlust führte im Denken Nadlers aber auch dazu, den Krieg spätestens ab diesem Zeitpunkt nur noch als qualvolle Pflichterfüllung anzusehen. Dass er vor dem Tod des Bruders nicht ganz frei von jeder Kriegsbegeisterung war, insbesondere nach den vielen militärischen Siegen
45 über Polen und Frankreich, geben einige erhaltene Unterlagen wieder. So setzte sich Hans Nadler nach der Eingliederung des Sudetenlandes am 1. Oktober 1938 wohl zusammen mit der lokalen Rodewischer NSDAP-Parteiorganisation intensiv für den Aufbau der dortigen SA ein. Dazu schlug die SA Nadler im Verlauf des Jahres 1939 für die Verleihung der »Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938« vor.165 Diese Medaille sollte an Personen vergeben werden, die sich um die »Rückgewinnung« des Sudetenlandes verdient gemacht hatten. Ob Nadler die Medaille verliehen wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor, jedoch sprach allein die Initiative für eine größere Begeisterung Nadlers für die politischen Maßnahmen zur Vergrößerung des Deutschen Reichs in dieser Zeit. Dass Nadler dabei auch ein Opfer der damaligen Propaganda war, muss an dieser Stelle ebenso beachtet werden. Festgestellt werden kann aber, dass er auch aufgrund seiner national-patriotischen Erziehung zu diesem Zeitpunkt die nationalsozialistische Kriegspolitik wohl noch nicht kritisch hinterfragte. Dies geht auch aus einem Brief von Willy Böttcher an Hans Nadler hervor. Böttcher wurde bereits am 1. Oktober 1939 zum Kriegsdienst eingezogen und sollte aufgrund der erwarteten Einziehung Nadlers im Frühjahr 1940 zur Betreuung der Rodewischer Funde wieder vom Wehrdienst freigestellt werden. Böttcher, der sich über seinen Einsatz als Ordonanz bei Nadler beschwerte, schrieb: »Sie, Herr Nadler, der Sie selbst ein Soldat sein wollen, haben vielleicht zwischen den Zeilen lesen können, daß es mir gar nicht paßte, denn würden Sie mit solchem Los zufrieden sein? Nein, denn sonst würden Sie nicht Nadler heißen.«166 Böttcher unterstellte an dieser Stelle auch Hans Nadler die unbedingte Bereitschaft zur Einberufung in die Wehrmacht und glaubte nicht, dass er als Ordonanz fernab jeder Kampfhandlung mit seinem Dienst zufrieden sein würde. Mit dem Einsatz an der Front verband er vermutlich auch die Hoffnung, endlich als gleichberechtigter Bürger anerkannt zu werden und seinen vermeintlichen Abstammungsmakel nicht länger verbergen zu müssen. Dass diese Annahme durchaus berechtigt war, zeigten die erlassenen Gesetze. So waren beispielsweise Weltkriegsteilnehmer, die von nicht-arischer Abstammung waren, von den Entlassungen im öffentlichen Dienst zunächst nicht betroffen.167 Jedoch bedeutete dies noch lange keine Garantie auf Gleichberechtigung, wie sich später noch zeigen sollte. Der Krieg traf die Familie Nadler völlig unerwartet, was nochmals für den unpolitischen Charakter Hans Nadlers sprach. Später sagte er dazu: »Wir haben nicht geglaubt, daß es Krieg geben könnte. Der Führer hatte doch einen Parteitag des Friedens einberufen. Man war einfach so geprägt, daßs man dachte, das wird schon stimmen. In Stockholm sahen wir diese Emigranten-Veröffentlichungen mit den Überschriften ›Hitler will den Krieg‹ und da dachten wir, das kann
46 nicht sein, da hätten wir doch längst was gemerkt. In Deutschland wurde gesagt, das sei die ›Greuelpresse‹, da werde nur gehetzt, ohne zu ahnen, wie bitter die Wahrheit doch war, dass es tatsächlich acht Tage später losging.«168 Wie sehr Hans Nadler von der deutschen Propaganda geblendet wurde, wird hier sehr deutlich, genauso aber auch seine spätere Ablehnung des Krieges. Mit Kriegsbeginn erwartete Nadler täglich eine Einberufung zur Wehrmacht. Grundsätzlich galt seit der Wiedereinführung des Wehrdienstes 1935, dass sogenannte »Halb- und Vierteljuden« Wehrdienst leisten mussten, jedoch nicht ohne ausdrückliche Genehmigung Hitlers zu Offizieren befördert werden durften.169 Dennoch gelang es vielen Soldaten, diese Einschränkung mit Vertuschung ihrer Abstammung zu umgehen. Da Nadler als Offiziersanwärter im April 1940 zur Wehrmacht einberufen wurde, traf dies wohl auch auf ihn zu.170 Stark zu vermuten ist, dass bei seiner Einberufung nicht gezielt auf seine Abstammung geachtete wurde oder Nadler auf bereits bestehende Mitgliedschaften, wie z. B. in der NSDAP, verwies, die ohne Ariernachweis eigentlich nicht möglich gewesen wären. Als ausgebildeter Architekt wurde er zum Pionier-Ersatz-Bataillon 24 nach Riesa eingezogen, wo er seine militärische Grundausbildung zum Pionier absolvierte.171 Die Soldaten erhielten in Riesa bzw. auf dem Truppenübungsplatz in Zeithain eine Ausbildung u. a. im Anlegen sowie Beseitigen von Draht- und Minensperren, im Bau von Behelfsbrücken, im Anlegen von Grabensystemen sowie im Ausbau von Straßensystemen. Die hier ausgebildeten Pioniere sollten neben dem bautechnischen Einsatz im Hinterland auch an vorderster Front zur Räumung von umkämpften Abschnitten eingesetzt werden. Nadler erwartete somit kein Einsatz fernab umkämpfter Gebiete; er musste sich im Gegenteil mit der Ausbildung unweigerlich auf eine Verwendung im unmittelbaren Kampfgeschehen vorbereiten. Nach der Ausbildung in Riesa wurde Nadler am 6. September 1940 zur 2. Kompanie des Pionier-Bataillons 88 an die französische Atlantikküste versetzt. Dieses unterstand der 46. Infanterie-Division und hatte hier den Auftrag, nach der Besetzung Frankreichs etwaige alliierte Landungen zu verhindern.172 Hier kam Nadler mit Kameraden in Kontakt, die während des Polen- und Frankreich-Feldzugs erste harte Kampferfahrungen sammeln mussten. Da jedoch weder die Briten noch die freie französische Armee unter General de Gaulle unmittelbar nach der französischen Niederlage an eine Landung denken konnten, gestaltete sich der Einsatz an der Atlantikküste für Hans Nadler friedlich. So konnte er in dieser Zeit auch die Annehmlichkeiten genießen, die die französische Provinz zu bieten hatte.173 Der Einsatz in Frankreich währte für ihn jedoch nicht lange. Bereits am 20. November 1940 erhielt Nadler den Versetzungsbefehl zum Pionier-Bataillon der 99. leichten Infanterie-Division nach Würz-
47 burg.174 Jene befand sich zu diesem Zeitpunkt im Raum um Hammelburg, Würzburg und Bad Kissingen in der Aufstellung und sollte bis April 1941 verwendungsbereit sein. Hier wurde Nadler der 1. Kompanie des Pionier-Bataillons 99 zugeordnet, um in dieser Region den Einsatz zu üben. Zu den besonders schweren Aufgaben in dieser Ausbildungszeit gehörte für die Pioniere der 99. leichten Infanterie-Division der Kriegsbrückenbau über den Main. Teilweise bei Hochwasser mussten die Pioniere im Winter 1940/41 bereits unter Lebensgefahr den Kriegsbrückenbau über den vereisten Main erlernen.175 Dies war keineswegs vergleichbar mit dem Bau einer Brücke über einen Übungsweiher auf dem Truppenübungsplatz bei Zeithain. Jeder Fehler hätte über dem eiskalten Wasser des Mains verheerende Konsequenzen haben können. Roland Kaltenegger schrieb über die Ausbildung der Pioniere, dass diese »neben einer soliden Waffen- und Geräteausbildung auf ein vorausschauendes Denken, auf Ausdauer und Abhärtung« abzielte.176 Im Wissen, dass die Pioniere an den Brennpunkten des Kampfes eingesetzt werden würden, wurden bereits in der Ausbildung schärfste Kriterien angesetzt. Nadler erhielt somit bereits einen Vorgeschmack auf seinen gefährlichen und vor allem entbehrungsreichen Einsatz an der Front. Hans Nadler wurde in der Ausbildung trotz seiner fehlenden Abstammungsurkunden zum Unteroffizier befördert. Innerhalb der 1. Kompanie des Pionier-Bataillons 99 übernahm er damit erstmals militärische Führungsaufgaben. Zwar war Nadler mit der Leitung der Ausgrabungen in Rodewisch bereits die Personalführung gewohnt, doch ging die Verantwortung als Unteroffizier und ab 1. Januar 1942 als Leutnant weit über diese Erfahrung hinaus. Bei der Wehrmacht lernte er nun ein neues Verantwortungsgefühl kennen. Hier wurde er sich endgültig bewusst, dass das gegenseitige Füreinandereinstehen überlebenswichtig sein würde. Diese Erfahrung prägte ihn so sehr, dass er später, wie noch zu zeigen sein wird, in seiner Leitungstätigkeit teils über die Schmerzgrenzen hinaus Loyalität zu seinen Mitarbeitern bewies. Sein ganzes Leben lang zeichneten ihn schließlich sein nicht zuletzt im Krieg gewonnenes großes Verantwortungsgefühl und die damit zusammenhängende Selbstdisziplin aus. Im Mai 1941 erhielt die 99. leichte Infanterie-Division den Befehl zum Abmarsch in das Gebiet um Zamość im heutigen südöstlichen Polen. Zu diesem Zeitpunkt war der Entschluss zum Angriff auf die Sowjetunion innerhalb der Führung des »Dritten Reichs« bereits gefasst. Um dies jedoch geheimzuhalten, marschierte die Division nur bei Nacht auf teils unbefestigten grundlosen Straßen in das ausgewiesene Aufmarschgebiet. Hier angekommen, begann für Nadler und seine Kameraden eine lange, ungewisse, quälende Wartezeit. Kein Soldat war sich gewiss, ob die Sowjetunion angegriffen werden sollte, mit der zu diesem Zeitpunkt noch ein Nicht-Angriffspakt bestand, oder ob viel-
64 erreichen. Die Angst vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft ließ aber viele, darunter auch Hans Nadler, diese Risiken in Kauf nehmen. Ihm wurde unmittelbar nach der Bekanntgabe der Kapitulation von seinem Kommandeur angeboten, die Flucht mit dem Auto durch Böhmen zu wagen. Aus Pflichtbewusstsein und Loyalität gegenüber seinen Untergebenen in der Kompanie lehnte er dieses Angebot jedoch ab.235 Bevor er über seine eigene Flucht nachdachte, fuhr er ein letztes Mal zu seinen Soldaten, informierte diese über die Kapitulation und suchte daraufhin zusammen mit einem befreundeten Kraftradmelder sein Glück auf der Flucht. In Melnik überquerte Nadler die Elbe. Er schlug sich über Lobositz nach Karlsbad durch, von wo aus er die grüne Grenze nach Deutschland überwand und schließlich nach einigen Tagen in Rodewisch ankam, das von amerikanischen Truppen besetzt war.236 Auf seiner Flucht durch Böhmen erlebte er die chaotischen Verhältnisse des tschechischen Aufstands mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung unmittelbar mit. Dabei entging er nur mit viel Glück Tieffliegerangriffen der Roten Armee, die bis zuletzt die flüchtenden deutschen Truppen verfolgte. Auch entkam er nur knapp dem Tod, als er nach der Überquerung der Elbe auf einem langen Fußmarsch nach Lobositz eine umgestürzte Stromleitung übersah, von der er durch seine schnelle Reaktion nicht verletzt wurde. Oft wurde er zudem an Straßensperren von Tschechen gestoppt, die ihn kontrollierten und schließlich auch ausraubten. So verlor er nach dem Untergang seines Gepäckschiffs erneut sein gesamtes Marschgepäck, darunter auch seinen Fotoapparat, der ihn durch den ganzen Krieg begleitet hatte. Besonders verbitterte ihn aber der Umgang mit der deutschen Bevölkerung, die systematisch aus ihrem Siedlungsgebiet vertrieben wurde.237 Dennoch hatte Nadler in dieser Zeit erneut unermessliches Glück. Ohne größere Blessuren erreichte er Rodewisch, wo er bei Frau Böttcher unterkam, die ihn nach der Flucht mit dem Nötigsten versorgte, von der er aber auch erfuhr, dass sein Freund Willy Böttcher im Krieg gefallen war.238
65 Der Neuaufbau des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege Nachdem Hans Nadler völlig mittellos in Rodewisch ankam, beschaffte er sich zunächst neue Papiere bei der örtlichen amerikanischen Kommandantur. Da nach dem Krieg in keiner Weise an die Fortführung der Ausgrabungen und den weiteren Ausbau der Schlossinsel in Rodewisch gedacht werden konnte, stand für ihn schnell fest, dass er schnellstmöglich nach Dresden zurückkehren musste, wo er auch Kontakt zu seinen Angehörigen finden würde. So wartete Nadler nicht den Einzug der sowjetischen Besatzer in Rodewisch am 1. Juli 1945 ab. Bereits zuvor überquerte er die Demarkationslinie bei Schnarrtanne und ging nach Dresden, wo er am 22. Juni 1945 ankam.239 Seine ganze Hoffnung klammerte sich in dieser Zeit an ein Schreiben von Walter Bachmann vom 5. Dezember 1940, welches ihn durch den gesamten Krieg begleitet hatte. Darin bot ihm Bachmann bereits zu diesem Zeitpunkt an, dass er nach dem Krieg seinen Dienst im Landesamt für Denkmalpflege als sein Assistent beginnen könnte. Bachmann schrieb an Nadler: »Ich werde täglich älter und muß jemand haben, der mich auf der Baustelle vertritt. Vor allem brauche ich eine Hilfskraft für die kommenden Grabungen und Forschungen zur deutschen Frühgeschichte. Das aber kann Dr. H. (Hentschel) nicht leisten, [er] hat auch kein Organ dafür.«240 Bachmann favorisierte bereits vor Kriegsende nicht seinen bisherigen Stellvertreter, den Kunsthistoriker Walter Hentschel, für die Stelle als neuen wissenschaftlichen Referenten. Der oberste sächsische Denkmalpfleger schätzte Nadlers Architekturstudium und seine in Rodewisch gewonnenen Erfahrungen als wertvoller für diesen Posten ein. Insbesondere nach dem Krieg mit den vielen Zerstörungen an Baudenkmalen wurde das Architekturstudium umso wichtiger. So hoffte Nadler auf dem Weg nach Dresden, dass Bachmann das Kriegsende lebend überstanden hatte und, auch wenn die Ausgrabungstätigkeit in der nächsten Zeit keine Rolle mehr spielen
76 lich bedeutenden politischen Momentes der Bodenreform und der kulturellen Belange stattgefunden hat.«280 Dies zeigt deutlich, unter welchem Druck die Vertreter der Denkmalpflege standen. Während der Bodenreform und insbesondere während der Durchführung des SMAD-Befehls Nr. 209 gerieten diese erstmals in einen ideologischen Konflikt mit den SED-Verantwortlichen, die bereits zu diesem Zeitpunkt alle wesentlichen Schlüsselpositionen im Land Sachsen besetzten. Der Konflikt um die Gutsabbrüche verdeutlicht zudem den Bedeutungsverlust der Denkmalpflege, die besonders in ideologisch aufgeladenen Zeiten zu schmerzlichen Kompromissen bereit sein musste. Dabei wurde offensichtlich, dass die sächsischen Denkmalpfleger und insbesondere Hans Nadler kaum eine Chance besaßen, die Abbrüche aus kulturhistorischen Gründen zu verhindern, sondern rein praktische Anlässe vorbringen mussten, um bedrohte Schlösser oder Herrenhäuser zu erhalten. Beispielsweise schlug das sächsische Landesamt für Denkmalpflege im Mai 1948 für 22 Anlagen eine veränderte Nutzung, z. B. als Schule, FDJ-Schulungsstätte, Krankenhaus usw. vor, die zu einer Erhaltung dieser Anlagen führen sollte.281 Ein Schema, welches sich bis zum Ende der SED-Herrschaft für die Denkmalpflege laufend wiederholen sollte. Insgesamt fielen gemäß Heinrich Magirius bis Anfang der 1950er Jahre zwischen 180 und 200 sächsische Schlösser und Herrenhäuser den Abbruchmaßnahmen zum Opfer (Teilabbrüche nicht mitgezählt).282 Darunter befanden sich auch zahlreiche kunsthistorische wertvolle Objekte, wie z. B. in Tiefenau, Döben, Guteborn oder Niederrödern. Dass am Ende nur ein Bruchteil aller Gutsanlagen abgerissen wurde, lag wohl hauptsächlich daran, dass oftmals das Abbruchmaterial nicht für den Neubau von Bauernhäusern verwendet werden konnte und vor allem lokale Verantwortliche eine veränderte praktische Nutzung der Gebäude einem Abriss vorzogen. Dennoch ging ein großer Teil kulturhistorisch wertvoller Anlagen im Zuge der Umsetzung des SMAD-Befehls Nr. 209 in Sachsen verloren. Da Walter Bachmann nur noch wenige Reisen durchführte und die Bodenkommissionen selten mit der Denkmalpflege kooperierten, oblag es Hans Nadler als einzigem wissenschaftlichem Mitarbeiter im Landesamt in dieser Zeit, die gefährdeten Objekte vor Ort zu betreuen. Dazu reiste er nahezu täglich durch ganz Sachsen, um sich ein Bild über den Zustand der Schlösser und Herrenhäuser zu machen. Wie schwierig diese Aufgabe in der Nachkriegszeit war, zeigte ein Erlebnisbericht über eine Dienstreise Nadlers vom 18. bis 21. November 1947, der an dieser Stelle nahezu komplett wiedergegeben werden soll: »Anlass der Fahrt: Donnerstag, den 20. 11. 1947 sollen vormittags auf dem Kreisratsamt zu Annaberg Fragen, die den geplanten Abbruch von Gutsanlagen im Kreis Annaberg betreffen, erörtert werden. Insbesondere gilt es, den baukünstlerischen Wert der einzelnen Gebäude
77 gruppen festzulegen. Da die Besatzungsmacht auf einen beschleunigten Arbeitsbeginn drängt, ist der Termin unaufschiebbar. Mittwoch ist Feiertag. Züge verkehren an diesem Tag nicht. Folglich muß man bereits am Dienstagabend losfahren. Allerdings bedarf man dann noch eines Fahrrades, mit dem man Mittwoch von Zwickau bis Annaberg, das sind etwa 70 km, fahren muß, um rechtzeitig zur Besprechung zu kommen. An dem Wege über Schneeberg-Schwarzenberg liegen jedoch eine Reihe Bauvorhaben, die durch unsere Dienststelle zu überwachen sind und bei dieser Gelegenheit geprüft werden sollen, so daß auch diese Fahrt genützt werden kann […] Am Dienstag-Nachmittag drängt man sich in den übervollen Schnellzug nach Plauen. Man kann sich nicht Zeit nehmen, sich Stunden zuvor in den bereitstehenden D-Zug zu setzen. So steht man zunächst einige Stunden auf einem Bein, eingekeilt zwischen Koffer und Kasten, bis in Chemnitz etwas Luft wird. Wir haben nur 1 ½ Stunden Verspätung, das telegrafisch bestellte Zimmer in Zwickau ist diesmal noch frei. Das schon wiederholt geübte Nächtigen auf dem Bahnhof bleibt erspart. Für 50 gr. Nährmittelmarken (Tageszuteilung 35 gr.) bekommt man einen kleinen Teller wässriger Suppe. Am anderen Morgen geben eine Tasse Tee und 2 trockene Scheiben Brot gegen Marken Kraft zur Arbeit. Das erste Ziel ist Griesbach. Da am Bußtag keine Züge fahren, setzt man sich aufs Fahrrad und bei drei Grad Kälte und eisigem Bergwind tritt man mühsam gegen den Berg an. Es sind nur 20 km bis Griesbach. Aber einige hundert Meter Steigung und der kalte Gegenwind erschweren das Vorankommen, zumal ich nur mit ›halber Kraft‹ fahren kann, nachdem man mir im vergangenen Jahre, ebenfalls auf einer Dienstfahrt, noch einen durchaus kriegsgerechten Bauchschuß verpasste und damit u. a. das rechte Bein teilweise lähmte. So geht es nur langsam voran. Die Straße wird eisig, etwas Schnee fällt. Gegen 10 Uhr erreiche ich Griesbach, klettere auf den Dachboden der Kirche, suche Reste alter Plastiken zusammen, stelle mit Bedauern eine völlig mißglückte Ausmalung des Kirchenraumes fest, die ohne unser Wissen, entgegen der Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes, durchgeführt wurde. Ich überprüfe die Möglichkeiten, mit wenig Mitteln Besserung zu schaffen, skizziere mit steifen Fingern ein wenig, dann noch 2 Fotoaufnahmen und weiter geht es nach Schneeberg. Die Hauptstraße ist gesperrt. Man benötigt zur Hinreise in das Bergbaugebiet einen Stempel der Kommandantur. Das erfordert aber wieder einige Stunden Aufenthalt. So wähle ich den Weg durch Felder und Schrebergärten ›hintenherum‹. Gegen Mittag komme ich reichlich abgekämpft zu unserem Vertrauensarchitekten nach Schneeberg. Die örtlichen Baufragen werden durchgesprochen. Materialbeschaffung, Arbeitskräfte, Dringlichkeit der Bauvorhaben sollen am Nachmittag noch einmal mit dem Bürgermeister besprochen werden. Gegen 1 Uhr versuche ich nun endlich auf meine Reisemarken Essen zu bekommen.
78 Wie ein Hausierer geht man erfolglos von Gaststätte zu Gaststätte. Man hört immer wieder ›keine Kohlen, bedauere, schon ausverkauft u. ä.‹ Zum Schluß stehe ich in einer Gemeinschaftsküche für Bergleute. Auf das Vorweisen des Dienstausweises zur Dokumentation, daß ich nicht zum Vergnügen reise, ist auch gegen Markenabgabe kein Essen zu erlangen. Nach 1 ½-stündigen Suchen bekomme ich durch die Stadtpolizei in der Volksküche einen Teller Suppe zugewiesen. Gestärkt klettert man auf den Baustellen herum. Anschließend Besprechung beim Bürgermeister. Nächstes Ziel ist Schwarzenberg. Ein kleines Stück kann ich mit einem Bergarbeiterzug fahren. Mein Fahrrad schnalle ich mit Riemen auf die Puffer; denn einen Packwagen führt dieser Zug nicht. Dann geht es im üblen Schneematsch bei Schneeregen wieder bergan. Man sieht bald wie ein Schneemann aus, bis zu den Knien ist man mit Schneematsch bespritzt, das Wasser läuft von oben in die Schuhe. Beim Schieben des Rades fließt das Wasser unten durch das nicht mehr ganz intakte altersschwache Schuhwerk in das Innere und beim Laufen durch die Schuhösen wieder heraus. Es wird dunkel. In der Georgenkirche zu Schwarzenberg gib es verschiedene technische Einzelheiten zu besichtigen. Im Pfarramt ist niemand zu erreichen. Ich warte im Hausflur einige Zeit. Um die Füße bilden sich kleine Wasserlachen. In der folgenden Besprechung mit dem Pfarrer werden Honorarschwierigkeiten, die eine erfolgreiche Zusammenarbeit zur Sicherung der wertvollen Kirche zwischen Architekt und Kirchenvorstand zu gefährden drohen, beseitigt, Material- und künstlerische Fragen werden besprochen. Gegen 6 Uhr stehe ich wieder auf der Straße und der Entschluß, in der Dunkelheit noch 22 km bis Annaberg zu fahren, wird sehr schwer. Aber es muß schon sein. Denn einmal bin ich in Annaberg angemeldet. Man erwartet mich dort. Eisenbahn fährt heute keine mehr. Zum anderen benötigt man zur Übernachtung in Schwarzenberg einen Russenstempel, den ich nicht habe und den zu beschaffen lange Zeit dauern würde. Also werde ich doch mit meinem alten bewährten Rade weiterziehen. Die drängende Zeit veranlaßt mich, in einem nahe liegendem Café für allerdings sündhaft viel Brot- und Zuckermarken, Kuchen und Plätzchen zur Neuauffüllung des reichlich verbrauchten Kalorienvorrates einzukaufen. Dann geht es bei dunkler Nacht in Richtung Annaberg weiter. Die Straße geht steil bergan. Mit zunehmender Höhe wandelt der Regen sich in Schnee. Die Straße ist sehr glatt. Es bildet sich eine zusammenhängende Schneedecke. So sieht man wenigstens einige Meter weiter. Die regennasse Windjacke knistert vereist bei jeder Bewegung. Über Markensbach (hier muß dem Kirchenvorstand erst noch die Anbringung einer geschmacklosen Gefallenenehrung in der Kirche untersagt werden) geht es immer weiter in die Berge. Mit Hilfe einiger Ortskundiger kann man sich unbehelligt um eine der besagten Sperren herummogeln. Immer wieder muß man sein Rad
79 schieben, Gegenwind erschwert neben Straßenglätte und Neuschnee die Fahrt. Hinter Scheibenberg hält mich Polizei an. Dieweil ich keine Beleuchtungsanlage besitze, soll ich die nächsten 10 km bis Annaberg laufen! Eine längere Unterhaltung beginnt. Ich versuche klarzumachen, daß ich möglichst vor Mitternacht noch in A. sein möchte, da ich von früh 7 Uhr ab unterwegs bin und daß ich ja nicht zum Privatvergnügen fahre, sondern sozusagen dienstlich unterwegs bin. ›Das kannst du deiner Großmutter erzählen, daß du heute zum Feiertag bei Nacht dienstlich mit dem Rade unterwegs bist.‹ Ich weise auf die ungünstigen Verkehrsverhältnisse hin, aufgrund derer die Erledigung des Arbeitsprogramms nur mit Hilfe des eigenen Fahrrads möglich ist. ›Dann muß Dir Deine Dienststelle eben ein Auto geben‹, sagte der Eine in seiner freundlichen erzgebirgischen Mundart. ›Ein Wagen konnte bisher für unsere Dienststelle noch nicht bereitgestellt werden. Und außerdem haben wir keinen Treibstoff.‹, ›na, da kannst Du eben nicht draußen rumfahren, ne, bei dem Wetter und bei der Ernährung!‹ und schüttelte mit dem Kopf. ›Im Kriege wurden ganz andere Dinge von uns verlangt!‹, sagte ich ihm, man nannte es damals Pflichterfüllung für das Vaterland. Ist denn dieser Begriff nur mit dem Schießen und Kriegführen verbunden? Ist nicht eine solche Fahrt im Vergleich zum Erlebten eine unwesentliche Begebenheit und etwas so Selbstverständliches, zumal man mit einer derartigen kleinen Unbequemlichkeit seiner Arbeit, die der Erhaltung alter Kunst und Kulturwerte für die Heimat gilt, erfolgreich nachgehen kann? Nach und nach verstehen wir uns schon, aber das Weiterfahren wird vorerst noch nicht gestattet. Erst der Hinweis auf meinen lahmen Haxen, der sich bei Straßenglätte besonders unliebsam bemerkbar macht, bekräftigt durch das Vorzeigen des Schwerbeschädigtenausweises, erwirkt die Fahrgenehmigung […] 20. 11. 47. Der für die Ortsbesichtigungen im Kreis Auerbach bestellte Wagen kommt nicht. Wir warten vergebens. Um 10 Uhr findet die angesagte Besprechung beim Kreisrat über die aktuellen Fragen im Kreis A. statt. Im Bauamt überprüfe ich anhand der Bauakten, soweit es möglich ist, die baukünstlerischen Werte einzelner zum Abbruch bestimmter Gutsgebäude. Gegen 12 Uhr fahren der Vertrauensarchitekt und ich endlich mit einem kleinen Lieferdreirad nach Wiesa. Dort können wir nur feststellen, daß wir trotz aller Mühe zu spät kommen. Seit dem frühen Morgen sind 30 Mann auf Befehl der Besatzungsmacht an der Arbeit, das selten schöne Herrenhaus, seit vielen Jahren in der Denkmalliste als besonders charakteristischer Bau des beginnenden 19. Jahrhunderts geführt, abzubrechen. Zwei Tage früher an Ort und Stelle hätte man zweifellos den Abbruchbeginn bis zu der seitens der SMAD in Aussicht gestellten grundsätzlichen Entscheidung über die Behandlung kulturell wertvoller Bauten hinausschieben können. Aber schnelles Handeln setzt schnelle Verkehrs-
80 mittel voraus. Sind Eisenbahn, Fahrrad oder Fußmarsch solche? Nein, allein Kraftwagen oder Motorrad gewährleisten die notwendige Beweglichkeit zum schnellen Handeln […] In Muße kann man das Resultat der Fahrt überlegen: Zeitdauer 3 Tage, 14 Bauberatungen, Ortsbesichtigungen, Begutachtungen usw. durchgeführt. Bei Benutzung allein der Eisenbahn wären dann 6 Tage erforderlich gewesen. Im eigenen Kraftwagen hätte man es in 1 ½ Tagen geschafft […] In Dresden ist mein Vorderrad wieder restlos platt. Ich gehe zum Amt. Es ist zwar schon abends gegen 11 Uhr geworden, aber ich möchte doch noch schnell den Bericht über das Herrenhaus Wiesa fertigstellen. Mittels einiger Kola-Präparate gelingt dieses auch, aber anschließend noch das Rad zu reparieren um Heim zu fahren, soweit reicht die Energie nicht mehr. So beginne ich den vorliegenden Fahrtbericht, der in unserem Aktenstück ›Denkmalpflege Allgemein‹ späteren zum Aktenlesen zeithabenden Menschen einen Einblick geben soll unter welchen Verhältnissen heute für die Erhaltung der uns noch verbliebenen Kulturwerte geschaffen wird. Eine solche Fahrt wie die vorliegende ist kein Einzelfall. Ihre Niederschrift ergab sich aus dem oben geschilderten Zufälligkeiten. Wenn diese Art Fahrten vielleicht dem Leser etwas unbequem und hart erscheinen mag, uns allen vom Amt für Denkmalpflege, die wir unter solchen Bedingungen unsere Arbeit leisten, sind die Erfolge dieser Mühen größte Befriedigung und Anlaß, immer von Neuem hinaus in unser Sachsenland, ins Vogtland, in die Lausitz, ins Erzgebirge und in die schlesischen Kreise zu ziehen.«283 Der Bericht zeigt, dass Hans Nadler vor Ort in den Kreisen eine Klassifizierung der Schlösser und Herrenhäuser gemäß den Vorgaben der zentralen Deutschen Verwaltung für Volksbildung in Berlin vornahm. Trotz aller Widerstände gegen die Abrisspolitik bewegte sich die sächsische Denkmalpflege, und damit auch Hans Nadler, immer noch im institutionellen staatlichen Rahmen, der trotz aller totalitaristischen Bestrebungen bis zu einem gewissen Punkt Widersprüche zuließ. So war die Auseinandersetzung um den Abriss der Schlösser und Herrenhäuser ein erstmals geübter Drahtseilakt, der die Widerspruchsmöglichkeiten für die Denkmalpflege austestete. Wie aber am Bericht von Hans Nadler zu sehen ist, war das zentral organisierte sächsische Landesamt für Denkmalpflege kaum in der Lage, gegen örtliche Eigenwilligkeiten von lokalen Akteuren oder der Besatzungsmacht vorzugehen. Allein aufgrund der mangelhaften Ausstattung mit Verkehrsmitteln konnte das Landesamt in der Nachkriegszeit seine umfangreichen Aufgaben nur bruchstückhaft erfüllen. Walter Bachmann forderte z. B. in mehreren Schreiben die Zuweisung eines neuen Fahrrads bzw. später eines Dienstkraftwagens, der dem Landesamt beim Einmarsch der Roten Armee gestohlen wurde.284 Er machte dabei auf den enormen Arbeitsumfang aufmerksam und zeigte auf, dass Hans Nadler
81 seit Kriegsende bis zum Mai 1947 mit seinem eigenen Rad 2 400 Kilometer zu den Baustellen zurücklegen musste.285 So bearbeite das Landesamt im gesamten Jahr 1947 insgesamt 461 Objekte, wovon 253 mit dem SMAD-Befehl Nr. 209 in Zusammenhang standen.286 Dass Hans Nadler in dieser Zeit eine nahezu übermenschliche Leistung mit seinen Besuchen auf Baustellen vollbrachte, ist daran sowie aus dem Erlebnisbericht sehr deutlich ablesbar. Obwohl es Hans Nadler nur selten gelang, vor Ort einzelne Anlagen zu retten, bemühte er sich nach Kräften, in den zum Abbruch bestimmten Schlössern und Herrenhäusern kunsthistorisch wertvolle Elemente vor Zerstörungen zu bewahren. Im Barockschloss in Tiefenau sicherte er z. B. die schmiedeeisernen Geländer sowie in Niederrödern die historische Kassettendecke mit farbig bedruckten Tapetenteilchen vor der Zerstörung. Beides wurde Anfang der 1950er Jahre auf Wunsch Nadlers im Rodewischer Schloss eingebaut.287 Seine enge Verbundenheit mit Rodewisch brach auch mit seinen neuen Aufgaben im Dresdener Landesamt für Denkmalpflege nie vollständig ab, woran auch Nadlers enormes Verantwortungsbewusstsein und ausgeprägtes Loyalitätsempfinden erkennbar ist. Auch privat veränderte sich für Hans Nadler viel in dieser Zeit. Völlig überraschend besuchte ihn während seines langen Krankenhausaufenthalts 1946 Käte Reinhold, die Schwester seines ehemaligen Mitschülers und Pfadfinderfreundes Friedrich Reinhold. Vom Bruder aufgefordert, während einer Reise zu ihren Eltern nach Cottbus nach alten überlebenden Dresdener Freunden zu suchen, stieß sie im Krankenhaus auf Hans Nadler, der diesen Besuch in dieser trostlosen, immer wieder von gesundheitlichen Rückschlägen bestimmten Zeit als besonders beglückend empfand. Aber auch Käte Reinhold war wohl von der freundlichen optimistischen Art Nadlers so sehr begeistert, dass sie ihm auf der Rückreise von Cottbus nach Schwenningen, wo sie seit Anfang der 1940er Jahre lebte, einen weiteren Besuch abstattete.288 Daraus entwickelte sich schließlich ein intensiver Briefwechsel, sodass sich Käte im April 1947 entschloss, zu ihren Eltern in die SBZ überzusiedeln. Nach mehreren glücklichen Besuchen entschlossen sich beide, am 28. August 1948 zu heiraten. Die Trauung fand ganz traditionell am Wohnort der Braut in der Cottbuser Oberkirche statt, deren denkmalpflegerische Betreuung Hans Nadler später sehr am Herzen lag.289 Nach der Eheschließung veränderte sich einiges in seinem Leben. Als erstes bemühten sich die Eheleute um eine gemeinsame Wohnung. Da der Wohnraum in Dresden Ende der 1940er Jahre immer noch sehr begrenzt war, war dies kein leichtes Unterfangen. Am 25. November 1948 teilte ihnen schließlich das Dresdener Wohnungsamt ein gemeinsames Zimmer mit Bad- und Küchennutzung innerhalb einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung als Untermieter in der Bodenbacher
100 Die Gründung des Instituts für Denkmalpflege und die Fortsetzung der Auseinandersetzung um die Neugestaltung Dresdens Bereits bevor das Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR am 23. Juli 1952 beschlossen wurde, herrschte im sächsischen Landesamt für Volkskunde und Denkmalpflege große Aufregung über die weitere Zukunft des Amtes. So sah sich der Leiter Joachim Uhlitzsch in der Dienstbesprechung am 2. Juli 1952 gezwungen, die Arbeitsbereichsleiter aufzufordern, aufgrund der vielen Entlassungsgerüchte auf die Belegschaft beruhigend einzuwirken.362 Dies war auch dringend nötig, da in Berlin die Absicht bestand, die starke Stellung der Landesämter für Denkmalpflege aufzuheben. Dazu sollte im zentralen Institut in Berlin ein Hauptarchiv eingerichtet werden, von wo aus alle Denkmallisten geführt werden sollten. Darüber hinaus war geplant, die gesamte Öffentlichkeitsarbeit zentral zu steuern und damit die Kontrolle über die Arbeit der Denkmalpfleger in den Ländern für die Partei zu perfektionieren. Ferner sollten auf Bezirksebene Denkmalämter eingerichtet und damit die ehemaligen Landesämter perspektivisch überflüssig gemacht werden.363 Dagegen formierte sich jedoch massiver Widerstand aus den Landesämtern. Hans Nadler wandte sich mit Wolf Schubert, dem Leiter des sachsen-anhaltinischen Amtes in Halle, im September 1952 gegen diese Pläne. Sie kritisierten vor allem den geplanten Abfluss an geschultem Personal aus den Landesämtern zur Zentrale.364 Schließlich setzten sich die Landesdenkmalschützer bis Jahresende 1952 teilweise durch. Es gelang ihnen, die zwei ehemaligen Landesämter in Dresden und Halle zu erhalten. Die Zentrale in Berlin sollte für den übrigen Teil der DDR zuständig sein. Für das nunmehr Institut für Denkmalpflege genannte Dresdener Amt kam neben den rein sächsischen Bezirken Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt der Bezirk
101 Cottbus zur Bearbeitung hinzu. Damit wurde Nadlers Wirkungsbereich auf seine alte Heimat rund um Gröden ausgedehnt. Ein Grund für diese Zuteilung war auch, dass ein Großteil dieses Gebiets bis zur Aufteilung während des Wiener Kongresses zu Sachsen gehörte. Somit wurde 1952 zumindest denkmalpflegerisch die sächsische Teilung von 1815 vorübergehend wieder aufgehoben.365 Dass Hans Nadler den Posten als zuständiger Denkmalpfleger und neuer Institutsleiter behalten würde, stand wohl allein aufgrund seines Einsatzes und seiner fachlichen Kenntnisse zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Die einzige Konkurrenz war in der sächsischen Verwaltung der bisherige Leiter des Landesamtes für Volkskunde und Denkmalpflege, Joachim Uhlitzsch, der jedoch zu diesem Zeitpunkt fachlich nicht mit Nadler konkurrieren konnte. Da für Uhlitzsch recht schnell im Oktober 1952 eine neue Stelle an der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig gefunden wurde, entstand kein längerer Konkurrenzkampf.366 Hinzu kam, dass Nadler erst im April 1952 einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, in dem er nochmals ausdrücklich mit der Leitung der gesamten sächsischen Denkmalpflege betraut wurde. Dieser Vertrag enthielt mehrere günstige Regelungen für Nadler, beispielsweise wurde ihm darin gewährt, an Kongressen im In- und Ausland teilzunehmen sowie jegliche Fachliteratur auf dem Gebiet der Denkmalpflege, Architektur und Kunstgeschichte auch aus dem Westen zu beziehen. Des Weiteren sicherte man ihm und seiner Familie die Zuweisung von angemessenem Wohnraum sowie die Möglichkeit eines ungehinderten Hochschulstudiums für seine Kinder bei entsprechenden schulischen Leistungen zu. Auch wurden ihm im neuen Arbeitsvertrag eine zusätzliche Altersversorgung sowie eine günstige Regelung im Falle der Arbeitsunfähigkeit angeboten. Als Gegenleistung musste er sich in diesem Vertrag dazu verpflichten, »alle seine Kräfte für die Entwicklung und Entfaltung einer fortschrittlichen, demokratischen Kultur in diesem Arbeitsbereich einzusetzen«.367 Der Vertrag zeigt deutlich, dass sein Arbeitgeber an einer perspektivischen Weiterbeschäftigung interessiert war. Dazu war dieser bereit, mehrere Vergünstigungen zu gewähren. Zwar blieb dem Staat immer noch ein Hintertürchen, sollte sich Nadler nicht für die postulierte »fortschrittliche, demokratische Kultur« einsetzen, womit im Grunde eine sozialistische Entwicklung gemeint war, doch zeigte dies, dass Nadler trotz aller Konflikte z. B. mit der Stadt Dresden immer noch unersetzlich auf seinem Posten war. Dazu trug zweifellos auch sein sehr gutes Verhältnis zum Minister Holtzhauer bei, der nach der Auflösung des Landes Sachsen zum Vorsitzenden der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten in Berlin berufen wurde und damit kurzzeitig für die gesamte Denkmalpflege in der DDR zuständig war.
102 Da sich vorerst keine geeignete Persönlichkeit als zentraler Leiter des Instituts für Denkmalpflege in Berlin fand, wurde die Leitung zunächst von einem »Gremium der Konservatoren«, zu dem auch Nadler gehörte, wahrgenommen.368 Erst im Jahr 1955 wurde dann mit Kurt Lade ein erster Institutsleiter bestimmt.369 Trotz der Zentralisierung blieben zunächst die Aufgaben für das Dresdener Institut die gleichen. Dafür war auch die kurz vor der Auflösung der Länder erlassene Verordnung zur Erhaltung und Pflege der nationalen Kulturdenkmale vom 26. Juni 1952 verantwortlich. Diese von Helmut Holtzhauer nach seinem Wechsel zur Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten erarbeitete Verordnung orientierte sich sehr stark an den vom ihm zuvor zusammen mit Hans Nadler ausgearbeiteten sächsischen Denkmalschutzgesetz. Unmittelbar nach der Umstrukturierung der Denkmalpflege in der DDR rückte die Neugestaltung des historischen Dresdener Zentrums wieder in das direkte Blickfeld Nadlers. Angesichts der zuvor ausgetragenen Konflikte mit der Dresdener Stadtverwaltung drohte auch diese Frage erneut zu einem Streit zu eskalieren. Nachdem auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 der vordringliche Aufbau des Dresdener Altmarkts verkündet wurde, schrieb die Stadt Dresden am 26. September 1952 einen Wettbewerb zur Neubebauung des Areals aus.370 War die Denkmalpflege mit Hans Nadler im Jahr 1950 an einer ähnlichen Ausschreibung noch beteiligt, so wurde sie diesmal von der Stadt nicht hinzugezogen.371 Ohne Mitwirkung der Denkmalpflege kürte eine Jury, bestehend aus Mitgliedern der Bauakademie und Vertretern des Rates des Bezirks und der Stadt sowie der Plankommission, einen Entwurf des Architekten Herbert Schneider zum Sieger, der an der Nordseite des Altmarkts den Bau eines Hochhauses vorsah. Gleichfalls war geplant, den Altmarkt als zentralen Demonstrationsplatz auf 20 000 Quadratmeter zu vergrößern sowie die Wilsdruffer Straße für Demonstrationszüge entsprechend zu verbreitern.372 Hans Nadler nahm unmittelbar nach Bekanntgabe des Ausschreibungsergebnisses Stellung im Namen des Instituts für Denkmalpflege. Er stellte darin zunächst anerkennend heraus, dass der Altmarkt in seiner bisherigen Größe annähernd beibehalten werden sollte. Gleichfalls forderte er aber, dass ein Hochhaus am Altmarkt im Verhältnis zu der historischen Stadtsilhouette stehen müsse und verwies dabei auf ähnliche Bauten in Moskau und Warschau, die dort in respektvollem Abstand zu den historischen Bauten entstanden. Auch sprach er sich gegen die Verbreiterung der Wilsdruffer Straße auf nunmehr 36 Meter aus, da diese die geschlossene Wirkung des Altmarkts auflösen und die Altstadt in zwei Hälften trennen würde. Des Weiteren gab er zu bedenken, dass die Hauptgesimshöhe am Altmarkt 21 Meter nicht überschreiten sollte. Seiner Meinung nach stand die im Entwurf ge-
103 plante Höhe von 26 Metern in einem ungünstigen Verhältnis zur noch vorhandenen historischen Bebauung, und es drohte damit eine ungünstige Überschneidung mit den erhaltenen Türmen der Stadt.373 Insgesamt fällt bei dieser Stellungnahme die sehr gemäßigt formulierte Kritik auf. So war sich Nadler wohl bewusst, dass es sich bei der Neugestaltung des Altmarkts um ein zentrales Vorhaben der Partei handelte, die den Platz als Großdemonstrationsort anlegen wollte. Hinzu kam, dass diese Entscheidung zu einem großen Teil in Berlin getroffen wurde. Da das Institut für Denkmalpflege nunmehr selbst der zentralen Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten in Berlin unterstellt war, war eine intensivere Kritik zu diesem Zeitpunkt kaum möglich. Darüber hinaus war die unmittelbare Zuständigkeit der Denkmalpflege in dieser Frage keineswegs eindeutig geklärt. So war von der Neugestaltung des Altmarkts kein denkmalgeschütztes Gebäude in Dresden unmittelbar in seinem Bestand bedroht. Aus diesem Grund fiel die Kritik des Dresdener Instituts für Denkmalpflege wohl zunächst recht diplomatisch aus. Da die Bauausführung mit dem Aushub der Baugruben am Altmarkt bereits im Dezember 1952 begann und zudem die Ablehnung gegen das Vorhaben in der Bevölkerung spürbar wuchs, entschloss sich Hans Nadler, seine Position zu veröffentlichen. Im Februar 1953 publizierte Nadler in der vom Kulturbund herausgegebenen Reihe »Natur und Heimat« einen Artikel unter dem Namen »Gegenwärtige Aufgaben der Denkmalpflege in Dresden«. In diesem verschwieg er nicht seine kritische Position zur Neugestaltung des Altmarkts. Indem er Dresden als eine Stadt mit klarer Orientierung zur Elbe darstellte, bezog Nadler darin klar Position gegen den Ausbau der Wilsdruffer Straße zu einer verbreiterten Festmagistrale. Da eine solche Straße eine Parallele zur Elbe darstelle und zudem vom Fußgänger nur ungern überschritten werde, empfahl er vielmehr, eine zentrale Straße in nord-südliche Richtung vom Hauptbahnhof bis zum Platz der Einheit anzulegen. Ebenso schrieb er: »Der Altmarkt wird der Platz der Stadt Dresden sein, auf dem stehende Kundgebungen, Festveranstaltungen usw. durchgeführt werden, er wird in der architektonischen Gestaltung einen baulichen Akzent erhalten. Das heute zur Diskussion stehende Hochhaus auf der Nordseite des Platzes ist in der kubischen Form ungeeignet.«374 Damit bezog Nadler öffentlich klar gegen die geplante Ausführung des Hochhauses Stellung. Dass ein solcher Artikel in der damaligen DDR veröffentlicht werden konnte, zeigt, dass immer noch kleinere Spielräume zur Meinungsäußerung existierten, wenn diese nicht unmittelbar politische Fragen berührten. Dennoch gelang es Nadler nur, in besonderen Publikationen problemlos zu erscheinen. Obwohl er am 28. März 1953 ebenfalls seinen kritischen Artikel an die Kultur-Redaktion des »Neuen Deutschland« nach Berlin sendete, wurde dieser Artikel erst nach der Grundstein
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