Leseprobe

45 über Polen und Frankreich, geben einige erhaltene Unterlagen wieder. So setzte sich Hans Nadler nach der Eingliederung des Sudetenlandes am 1. Oktober 1938 wohl zusammen mit der lokalen Rodewischer NSDAP-Parteiorganisation intensiv für den Aufbau der dortigen SA ein. Dazu schlug die SA Nadler im Verlauf des Jahres 1939 für die Verleihung der »Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938« vor.165 Diese Medaille sollte an Personen vergeben werden, die sich um die »Rückgewinnung« des Sudetenlandes verdient gemacht hatten. Ob Nadler die Medaille verliehen wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor, jedoch sprach allein die Initiative für eine größere Begeisterung Nadlers für die politischen Maßnahmen zur Vergrößerung des Deutschen Reichs in dieser Zeit. Dass Nadler dabei auch ein Opfer der damaligen Propaganda war, muss an dieser Stelle ebenso beachtet werden. Festgestellt werden kann aber, dass er auch aufgrund seiner national-patriotischen Erziehung zu diesem Zeitpunkt die nationalsozialistische Kriegspolitik wohl noch nicht kritisch hinterfragte. Dies geht auch aus einem Brief von Willy Böttcher an Hans Nadler hervor. Böttcher wurde bereits am 1. Oktober 1939 zum Kriegsdienst eingezogen und sollte aufgrund der erwarteten Einziehung Nadlers im Frühjahr 1940 zur Betreuung der Rodewischer Funde wieder vom Wehrdienst freigestellt werden. Böttcher, der sich über seinen Einsatz als Ordonanz bei Nadler beschwerte, schrieb: »Sie, Herr Nadler, der Sie selbst ein Soldat sein wollen, haben vielleicht zwischen den Zeilen lesen können, daß es mir gar nicht paßte, denn würden Sie mit solchem Los zufrieden sein? Nein, denn sonst würden Sie nicht Nadler heißen.«166 Böttcher unterstellte an dieser Stelle auch Hans Nadler die unbedingte Bereitschaft zur Einberufung in die Wehrmacht und glaubte nicht, dass er als Ordonanz fernab jeder Kampfhandlung mit seinem Dienst zufrieden sein würde. Mit dem Einsatz an der Front verband er vermutlich auch die Hoffnung, endlich als gleichberechtigter Bürger anerkannt zu werden und seinen vermeintlichen Abstammungsmakel nicht länger verbergen zu müssen. Dass diese Annahme durchaus berechtigt war, zeigten die erlassenen Gesetze. So waren beispielsweise Weltkriegsteilnehmer, die von nicht-arischer Abstammung waren, von den Entlassungen im öffentlichen Dienst zunächst nicht betroffen.167 Jedoch bedeutete dies noch lange keine Garantie auf Gleichberechtigung, wie sich später noch zeigen sollte. Der Krieg traf die Familie Nadler völlig unerwartet, was nochmals für den unpolitischen Charakter Hans Nadlers sprach. Später sagte er dazu: »Wir haben nicht geglaubt, daß es Krieg geben könnte. Der Führer hatte doch einen Parteitag des Friedens einberufen. Man war einfach so geprägt, daßs man dachte, das wird schon stimmen. In Stockholm sahen wir diese Emigranten-Veröffentlichungen mit den Überschriften ›Hitler will den Krieg‹ und da dachten wir, das kann

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