Leseprobe

64 erreichen. Die Angst vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft ließ aber viele, darunter auch Hans Nadler, diese Risiken in Kauf nehmen. Ihm wurde unmittelbar nach der Bekanntgabe der Kapitulation von seinem Kommandeur angeboten, die Flucht mit dem Auto durch Böhmen zu wagen. Aus Pflichtbewusstsein und Loyalität gegenüber seinen Untergebenen in der Kompanie lehnte er dieses Angebot jedoch ab.235 Bevor er über seine eigene Flucht nachdachte, fuhr er ein letztes Mal zu seinen Soldaten, informierte diese über die Kapitulation und suchte daraufhin zusammen mit einem befreundeten Kraftradmelder sein Glück auf der Flucht. In Melnik überquerte Nadler die Elbe. Er schlug sich über Lobositz nach Karlsbad durch, von wo aus er die grüne Grenze nach Deutschland überwand und schließlich nach einigen Tagen in Rodewisch ankam, das von amerikanischen Truppen besetzt war.236 Auf seiner Flucht durch Böhmen erlebte er die chaotischen Verhältnisse des tschechischen Aufstands mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung unmittelbar mit. Dabei entging er nur mit viel Glück Tieffliegerangriffen der Roten Armee, die bis zuletzt die flüchtenden deutschen Truppen verfolgte. Auch entkam er nur knapp dem Tod, als er nach der Überquerung der Elbe auf einem langen Fußmarsch nach Lobositz eine umgestürzte Stromleitung übersah, von der er durch seine schnelle Reaktion nicht verletzt wurde. Oft wurde er zudem an Straßensperren von Tschechen gestoppt, die ihn kontrollierten und schließlich auch ausraubten. So verlor er nach dem Untergang seines Gepäckschiffs erneut sein gesamtes Marschgepäck, darunter auch seinen Fotoapparat, der ihn durch den ganzen Krieg begleitet hatte. Besonders verbitterte ihn aber der Umgang mit der deutschen Bevölkerung, die systematisch aus ihrem Siedlungsgebiet vertrieben wurde.237 Dennoch hatte Nadler in dieser Zeit erneut unermessliches Glück. Ohne größere Blessuren erreichte er Rodewisch, wo er bei Frau Böttcher unterkam, die ihn nach der Flucht mit dem Nötigsten versorgte, von der er aber auch erfuhr, dass sein Freund Willy Böttcher im Krieg gefallen war.238

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