78 Wie ein Hausierer geht man erfolglos von Gaststätte zu Gaststätte. Man hört immer wieder ›keine Kohlen, bedauere, schon ausverkauft u. ä.‹ Zum Schluß stehe ich in einer Gemeinschaftsküche für Bergleute. Auf das Vorweisen des Dienstausweises zur Dokumentation, daß ich nicht zum Vergnügen reise, ist auch gegen Markenabgabe kein Essen zu erlangen. Nach 1 ½-stündigen Suchen bekomme ich durch die Stadtpolizei in der Volksküche einen Teller Suppe zugewiesen. Gestärkt klettert man auf den Baustellen herum. Anschließend Besprechung beim Bürgermeister. Nächstes Ziel ist Schwarzenberg. Ein kleines Stück kann ich mit einem Bergarbeiterzug fahren. Mein Fahrrad schnalle ich mit Riemen auf die Puffer; denn einen Packwagen führt dieser Zug nicht. Dann geht es im üblen Schneematsch bei Schneeregen wieder bergan. Man sieht bald wie ein Schneemann aus, bis zu den Knien ist man mit Schneematsch bespritzt, das Wasser läuft von oben in die Schuhe. Beim Schieben des Rades fließt das Wasser unten durch das nicht mehr ganz intakte altersschwache Schuhwerk in das Innere und beim Laufen durch die Schuhösen wieder heraus. Es wird dunkel. In der Georgenkirche zu Schwarzenberg gib es verschiedene technische Einzelheiten zu besichtigen. Im Pfarramt ist niemand zu erreichen. Ich warte im Hausflur einige Zeit. Um die Füße bilden sich kleine Wasserlachen. In der folgenden Besprechung mit dem Pfarrer werden Honorarschwierigkeiten, die eine erfolgreiche Zusammenarbeit zur Sicherung der wertvollen Kirche zwischen Architekt und Kirchenvorstand zu gefährden drohen, beseitigt, Material- und künstlerische Fragen werden besprochen. Gegen 6 Uhr stehe ich wieder auf der Straße und der Entschluß, in der Dunkelheit noch 22 km bis Annaberg zu fahren, wird sehr schwer. Aber es muß schon sein. Denn einmal bin ich in Annaberg angemeldet. Man erwartet mich dort. Eisenbahn fährt heute keine mehr. Zum anderen benötigt man zur Übernachtung in Schwarzenberg einen Russenstempel, den ich nicht habe und den zu beschaffen lange Zeit dauern würde. Also werde ich doch mit meinem alten bewährten Rade weiterziehen. Die drängende Zeit veranlaßt mich, in einem nahe liegendem Café für allerdings sündhaft viel Brot- und Zuckermarken, Kuchen und Plätzchen zur Neuauffüllung des reichlich verbrauchten Kalorienvorrates einzukaufen. Dann geht es bei dunkler Nacht in Richtung Annaberg weiter. Die Straße geht steil bergan. Mit zunehmender Höhe wandelt der Regen sich in Schnee. Die Straße ist sehr glatt. Es bildet sich eine zusammenhängende Schneedecke. So sieht man wenigstens einige Meter weiter. Die regennasse Windjacke knistert vereist bei jeder Bewegung. Über Markensbach (hier muß dem Kirchenvorstand erst noch die Anbringung einer geschmacklosen Gefallenenehrung in der Kirche untersagt werden) geht es immer weiter in die Berge. Mit Hilfe einiger Ortskundiger kann man sich unbehelligt um eine der besagten Sperren herummogeln. Immer wieder muß man sein Rad
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1