Leseprobe

79 schieben, Gegenwind erschwert neben Straßenglätte und Neuschnee die Fahrt. Hinter Scheibenberg hält mich Polizei an. Dieweil ich keine Beleuchtungsanlage besitze, soll ich die nächsten 10 km bis Annaberg laufen! Eine längere Unterhaltung beginnt. Ich versuche klarzumachen, daß ich möglichst vor Mitternacht noch in A. sein möchte, da ich von früh 7 Uhr ab unterwegs bin und daß ich ja nicht zum Privatvergnügen fahre, sondern sozusagen dienstlich unterwegs bin. ›Das kannst du deiner Großmutter erzählen, daß du heute zum Feiertag bei Nacht dienstlich mit dem Rade unterwegs bist.‹ Ich weise auf die ungünstigen Verkehrsverhältnisse hin, aufgrund derer die Erledigung des Arbeitsprogramms nur mit Hilfe des eigenen Fahrrads möglich ist. ›Dann muß Dir Deine Dienststelle eben ein Auto geben‹, sagte der Eine in seiner freundlichen erzgebirgischen Mundart. ›Ein Wagen konnte bisher für unsere Dienststelle noch nicht bereitgestellt werden. Und außerdem haben wir keinen Treibstoff.‹, ›na, da kannst Du eben nicht draußen rumfahren, ne, bei dem Wetter und bei der Ernährung!‹ und schüttelte mit dem Kopf. ›Im Kriege wurden ganz andere Dinge von uns verlangt!‹, sagte ich ihm, man nannte es damals Pflichterfüllung für das Vaterland. Ist denn dieser Begriff nur mit dem Schießen und Kriegführen verbunden? Ist nicht eine solche Fahrt im Vergleich zum Erlebten eine unwesentliche Begebenheit und etwas so Selbstverständliches, zumal man mit einer derartigen kleinen Unbequemlichkeit seiner Arbeit, die der Erhaltung alter Kunst und Kulturwerte für die Heimat gilt, erfolgreich nachgehen kann? Nach und nach verstehen wir uns schon, aber das Weiterfahren wird vorerst noch nicht gestattet. Erst der Hinweis auf meinen lahmen Haxen, der sich bei Straßenglätte besonders unliebsam bemerkbar macht, bekräftigt durch das Vorzeigen des Schwerbeschädigtenausweises, erwirkt die Fahrgenehmigung […] 20. 11. 47. Der für die Ortsbesichtigungen im Kreis Auerbach bestellte Wagen kommt nicht. Wir warten vergebens. Um 10 Uhr findet die angesagte Besprechung beim Kreisrat über die aktuellen Fragen im Kreis A. statt. Im Bauamt überprüfe ich anhand der Bauakten, soweit es möglich ist, die baukünstlerischen Werte einzelner zum Abbruch bestimmter Gutsgebäude. Gegen 12 Uhr fahren der Vertrauensarchitekt und ich endlich mit einem kleinen Lieferdreirad nach Wiesa. Dort können wir nur feststellen, daß wir trotz aller Mühe zu spät kommen. Seit dem frühen Morgen sind 30 Mann auf Befehl der Besatzungsmacht an der Arbeit, das selten schöne Herrenhaus, seit vielen Jahren in der Denkmalliste als besonders charakteristischer Bau des beginnenden 19. Jahrhunderts geführt, abzubrechen. Zwei Tage früher an Ort und Stelle hätte man zweifellos den Abbruchbeginn bis zu der seitens der SMAD in Aussicht gestellten grundsätzlichen Entscheidung über die Behandlung kulturell wertvoller Bauten hinausschieben können. Aber schnelles Handeln setzt schnelle Verkehrs-

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