Leseprobe

220 Der private Streit um den Dinglinger-Weinberg Auch persönlich stellten sich für ihn nach der Wiedervereinigung zahlreiche Veränderungen ein, an die er sich nur schwer gewöhnen konnte. Er schrieb am 28. März 1991 an seinen österreichischen Freund Walter Frodl: »Die Turbulenzen nach der ›Wende‹ sind noch sehr lebhaft. Es gibt so allerhand Verunsicherungen, und wir müssen als ›Ossis‹ erst lernen, uns in der freien Wildbahn der Marktwirtschaft jagdgerecht zu bewegen. Es ist für uns nicht leicht, in einigen Nachhilfestunden das auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft zu lernen, was die ›Wessis‹ sich in 40 Jahren an Administration auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft, bei Versicherungen usw., ausgedacht haben und nun praktizieren. Aber wir hoffen, daß sich alles bis zum Herbst einigermaßen eingependelt hat. Wir haben ja oft Goethe zur Unterstützung unser[er] Anliegen zitiert. Und was nun die Freiheit angeht, die gewonnen ist, so meint Goethe auch: Es wird einem sauer gemacht, das Leben in Freiheit!«845 Am »sauersten« schmeckte Hans Nadler zusammen mit der Familie seiner Tochter, die eine eigene Wohnung im Haus hatte, unzweifelhaft die nach der Wiedervereinigung einsetzende Verunsicherung über die Zukunft des ehemaligen Dinglinger-Grundstücks in der Schevenstraße. Nach 1990 war es der in der ganzen Welt verteilten Erbengemeinschaft, welcher das u. a. von Nadler bewohnte Grundstück gehörte, nunmehr möglich, das Anwesen zu veräußern. Der Familie Nadler selbst fehlten die Mittel, das etwa 25 000 Quadratmeter große Grundstück in bester Dresdener Lage zu erwerben. So bangte Hans Nadler seit der Wiedervereinigung, aus dem von ihm seit 1958 bewohnten und liebevoll gepflegten Haus ausziehen zu müssen. Bereits am 4. August 1992 schrieb er an eine Bekannte: »Ob wir für immer in diesem Haus bleiben können, ist natürlich – wie bei sehr vielen Grundstücken in den neuen Ländern – zweifelhaft, aber vorerst besteht bis zum Jahre 1995 Mieterschutz und bis dahin ist ja noch einige Zeit.«846 Bereits zuvor bestand von Teilen der Erbengemeinschaft die Absicht, einen Teil des Grundstücks, welches Nadler ebenso seit über

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