Leseprobe

222 Bereits in einem Artikel über ihn aus dem Jahr 1992 schrieb sie kritisch über eine geplante Aufteilung des Grundstücks.851 Nun stand sie Nadler helfend zur Seite und forderte vom Bürgermeister, dass die Stadt Dresden ihr Vorkaufsrecht nutzen solle, um das Grundstück denkmalgerecht erhalten zu können. Hollenders schien sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit den Verkäufern der Erbengemeinschaft einig gewesen zu sein. Mit diesen vereinbarte er einen Kaufpreis von 1,56 Millionen Mark.852 Doch griff nun für Hollenders völlig unerwartet die Stadt Dresden ein. Ausschlaggebend dafür war die Denkmalpflege, die die historische Einheit des Ensembles vor allem für die Öffentlichkeit erhalten wollte, welches mit einem Verkauf an eine Privatperson bedroht worden wäre. Zwar sicherte Hollenders öffentlich zu, dass er den Weinberg denkmalgerecht wiederherstellen, das Wohnrecht von Hans Nadler garantieren und sogar ein Dinglinger-­ Archiv einrichten wollte, doch machte die Stadt am 4. September 1996 ihr Vorkaufsrecht für das Grundstück geltend.853 Während das Rechtsamt der Stadt noch Bedenken anmeldete, waren sich die Parteien in Dresden bis auf die FDP-DSU-Fraktion über das Vorgehen der Verwaltungsspitze einig.854 Unterstützt wurden diese durch die Dresdener Medienlandschaft. Berichtete die Sächsische Zeitung noch bewusst neutral über den Fall, titelte dagegen das Boulevard-Blatt Dresdner Morgenpost: »Zum ersten Mal: Stadt nimmt Investor das Haus weg«.855 Die Pressemeldung zeigt bereits, wie sehr der Vorgang für eine öffentliche Auseinandersetzung geeignet war. So boten sich die Rollen der Protagonisten insbesondere für die Boulevard-Blätter geradezu idealtypisch für eine bewusst zugespitzte Berichterstattung an. Hier der alte, ostdeutsche Professor, der sich enorme Verdienste nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem SED-Regime um die Erhaltung der Stadt Dresden erwarb, und dort der junge, westdeutsche Advokat, der wie viele andere Westdeutsche scheinbar arrogant die von ihm nicht erkannte Lebensleistung des Ehrenbürgers Hans Nadler streitig machte. Die Konstellation um den Dinglinger-Weinberg war in den von enormen Umbrüchen aufgeheizten Nachwendejahren eine perfekte Vorlage für die Boulevard-Presse. Hans Nadler betrieb diese Art der Auseinandersetzung in der Presse ausdrücklich nicht. Jedoch wurde er in Dresden in dieser Zeit zu einem Symbol aufgebauscht, welches dem lang ersehnten ostdeutschen Behauptungswillen gegen eine tief empfundene westdeutsche Bevormundung bzw. Okkupation ein Gesicht gab. Nadler war in diesem Denken Opfer und Kämpfer für seine Rechte zugleich. In dieses bewusst vereinfacht dargestellte Schema schien zu passen, dass Hollenders nun den Beschluss der Stadt, das Vorkaufsrecht wahrzunehmen, gemeinsam mit der Erbengemeinschaft zu umgehen versuchte. Der Notar verzichtete nunmehr auf einen direkten Kauf des Grundstücks und einigte sich mit den Erben am 26. November

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