Leseprobe

76 Anja Simonsen Über die Sorgen eines Gärtners Oder von den Herausforderungen der Nischwitzer Gartenanlagen vom 18. bis in das 21. Jahrhundert weise, offenbarte sich das vergilbte Schriftstück aus dem Jahr 1765 als Dokument eines Menschenlebens außerhalb des historischen Rampenlichtes, als sehr seltener Beleg für das Leben und Wirken hinter den Kulissen eines herrschaftlichen Gartens. Vor diesem Hintergrund erscheint der vollständige Abdruck an dieser Stelle unbedingt gerechtfertigt. Schloss und Park Nischwitz befanden sich als Teil des Brühlschen Vermögens und im Zuge des langjährigen gerichtlichen Prozesses um die Brühlsche Finanzpolitik in Zwangsverwaltung,4 als folgende Zeilen voller Verzweiflung aufs Papier gekratzt wurden:5 Ein archivalisches Fundstück als Wegweiser in die Zukunft Zwischen den unzähligen im Hauptstaatsarchiv Dresden verwahrten Dokumenten aus dem Nachlass des sächsischen Premierministers Heinrich Graf von Brühl (1700–1763)1 kam im Frühjahr 2020, während intensiver gartenhistorischer Aufarbeitung, der Brief des herrschaftlichen Nischwitzer Lustgärtners Johann Heinrich Fülcke (1714/15–1795)2 an seinen Freund und Gärtnerkollegen Johann Heinrich Möller3 in Dresden zum Vorschein. Authentisch in Handschrift und Sprach- »Hoch Edler Insonders Hochgeehrtester Herr: Herzens werthgeschäzter Freundt Eu. HochEdlen geehrtestes Schreiben habe richtig erhalten; und bey meinen betäubten Umständen hat er mich erfreuet; daß Sie als ein treuer Freundt meiner mit erwehnet haben; bitte meine Freiheit nicht ungütig zu nehmen daß ich meinen lieben Hr. Möller mit beygehenden Promemoria zu überreichen beschwerlich falle; und nochmals meine Noth klage; da es nunmehro an Johanna6 Zwey Jähricht ist als der Herr Cammerath von Heinicken7 hier war […] und darbey verortnete er von Johanne bis Migaelis8 800 Thaler daß ich gleich sollte Leuthe mit Macht annehmen; und den untersten Garten mit Hecken und Linden zu Schneiten wie auch die Proterie des Poligrains9 und Gänge in Reinlichkeit zu bringen; und ist mir gar Gerichtlich anbefohlen worden bey Verlust meiner Dienste selbiges zu forschiren10 und den Garten in Ordnung zu bringen da ich sogleich Leuthe und Soltaten zusammen nahm so viel ich kriegen konnte, und hoffte von einer Zeit zur andern um Gelt Hülffe; da ich nun die Leuthe auf dem Halse hatte so fände ich mich genöthiget 100 Thaler auf einen Wechsel bey einem Guthen Freunde zu borgen; vorn Jahre an Johanna so that selbiger in hiesigen Gerichten beym Herrn Doctor Kölau mich verklagen; und traute gar daß er mich wollte Arretiren laßen; so habe ich den Wechsel Prologiren11 müßen bis auf daß heurichte Jahr den 20. Juli: und daß andere bey underschiedlichen guthen Freunden auf Scheine erborget habe; und auch unterschiedliche Belege noch Schuldig bin; an daß 1763ste Jahr kann ich gedencken; der Diebstal des Jungens12 Schadet mir auch auf 460 Thaler was ich noch bey der Plünderung in Stücken gehabt, und des Nachts geholet und errettet habe; der Junge wäre an Galgen gekommen wenn ich es getrieben hätte, durch Zuredung verständiger Leuthe wegen seiner Jugend sich zu bekehren so hat er in Leipzig den Staubesen13 und ewige Landt-Verweisung bekommen; vor Zwey Jahren im Früh Jahre hat mich auch die vatalität mit denen Paumshulen14 wegen des Frostes betroffen daß mir auf 300 Schock wilte und gute Bäume erfroren; so habe mich vorm Jahre und heuer benöthiget verstanden wieder wilte Stämme zu kauffen und Junge anzuziehen; sogar die Spargelstöcke in der Erde seyn Erfrohren wie ich ihn HerbstZeit nicht mit Miste bedeken kann; 40 Fuder15 seyn mir wohl ausgemachet worden; aber ich habe selbige die Ersten 2 Jahr nur erhalten; nunmehro daß heurichte Jahr bin ich an die Wirthschafft gewiesen worden um da Gelt zu bekommen; weil der Herr Graf Carl16 nicht zugegen gewesen ist; welches aber auch nicht geschehen; also bin ich denen Leuthen auf daß heurichte Jahr auf 98 Thaler schuldig; und die Plünderung17 gleich daß Jahr darauf als ich herkam, schadet mir auf über 700 Thaler welches ich auch bey denen Gerichten habe eingeben müßen, bin mit vortgeschleppet worden darbey viele Schläge erlitten; was ich von Möbles als die Turm-Uhr und andern Sachen eingelöset und wieder erkauffet; habe ich dem hiesigen Pettmeister18 eingehändiget; aber daß Gelt darvor zu fordern welches in der 2 Jährichten Rechnung zu finden ist also habe weiter nichts mehr übrich als mein Gut Gewissen; also kann mein Herzens aufRichtiger Guther Freundt leichte dencken daß mir manchesmahl Muth, Sinn und Gedanken vergehen; und ich mir manchesmahl die Grillen mit der Arbeit vertreibe; die Orangerie habe bey Obersten Meyer bey der Plünderung noch errettet unter dem Vorwande daß sie meiner gehörte; und ich es ihm auf Schrifftlich geben musste daß ich es zu allen Zeiten beschwören wolle wenn es erfordert würde; daß diejenigen so der Herrschafft gehörten abgesaeget und Ruiniret worden; und was noch gut wäre meiner gehörte; alsdann befahl er den Quartier Meister er sollte mit mir gehen weil sie im Garten Ruiniren thaten; und eine Schiltwache mit geben; unter währender Zeit thaten sie mir in meinem Lochire19 alles ausschlagen und Plündern; was ich dazumahl den Quartier Meister und Schiltwache gegeben habe auch noch nichts darvor erhalten; Indessen will ich fleißig beten daß der liebe Gott mag Große Herzen Regieren daß er zum besten ausschlagen möge und ich die Schuldleuthe bezahlen kann; Hiermit Empfehle Sie in Göttliche Protection, und bin mit schönsten Compliment an deßen Hochgeehrte Frau Liebste verbleibe jederzeit, Eu. Hoch Edlen Ihr Aufrichtiger und getreuer Freundt Johann Heinrich Fülcke Nischwiz den 26. Jun. 1765.«20

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